Immer wieder äußern sich Vertreter der Ärzteschaft in einlullenden Worten zur Sicherheit der Hirntod-Diagnostik. Tatsächlich aber ist diese Diagnose viel schwieriger, als behauptet wird. Der sensible Bereich ist nicht einmal umfassend erforscht.
Auszug aus dem Artikel
Das Wissen um die Vorgeschichte ist dabei unerlässlich: Ist der Ausfall der Hirnfunktionen Folge einer schweren Hirnschädigung, etwa nach einem massiven Schlaganfall, oder einer Tablettenintoxikation? Der intoxikierte Patient kann das Bild eines Hirntods zeigen, obwohl seine Hirnfunktionen nicht irreversibel erloschen sind und nach Abklingen der Medikamentenwirkung wiederherstellbar sind. Deshalb weisen die Richtlinien der Bundesärztekammer auf die Gefahr einer Verwechslung von Hirntod und Intoxikation hin.
Doch wie oft kennen die Ärzte auf der Intensivstation tatsächlich die Vorgeschichte des Patienten? Wie oft sind sie ausreichend skeptisch, wenn ein Patient nach einem Verkehrsunfall eingeliefert wird? Der Unfall kann Folge einer Medikamentenüberdosis sein.
Mehr noch: Ein Patient, der tatsächlich einen Schlaganfall hat, kann zugleich eine Medikamentenintoxikation aufweisen, die aber durch die eher ins Auge fallenden Symptome des Schlaganfalls kaschiert wird. Erschwerend kommt schließlich hinzu, dass intensivpflichtige Patienten mit begleitenden Herz-Kreislaufproblemen oft Leber- und Nierenfunktionsstörungen haben. Medikamente, die einen Hirntod imitieren, werden dann sehr viel langsamer abgebaut und ausgeschwemmt und wirken dadurch länger als üblich.
Link zum Artikel
Süddeutsche Zeitung 4. Juni 2015
Hirntod-Diagnostik: Annäherungen an den Tod
von Claudia Wiesemann, Professorin für Medizinethik an der Universität Göttingen und Mitglied im Deutschen Ethikrat
https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/hirntod-diagnostik-annaeherungen-an-den-tod-1.2505783