Robert D. Truog, MD: Sollte eine informierte Zustimmung verpflichtend sein bei der Durchführung eines Apnoe-Tests bei Patienten, deren Hirntod vermutet wird? – Ja

Ist es erfor­der­lich, dass eine infor­mier­te Zustim­mung der Bevoll­mäch­tig­ten eines Pati­en­ten vor­lie­gen muss, wenn ein Apnoe-Test als Bestand­teil der Hirn­tod-Unter­su­chung durch­ge­führt wird? Die­se Fra­ge stellt sich gera­de jetzt, nicht nur weil die recht­li­chen Ent­schei­dun­gen bei die­ser Fra­ge der­zeit unter­schied­lich aus­fal­len,1 son­dern auch wegen einer Anzahl von Fäl­len, in denen die Fami­li­en die Hirn­tod-Dia­gno­se abge­lehnt haben, nach­dem sie getrof­fen wor­den war, und die auch die Hirn­tod-Unter­su­chung unter­sagt hät­ten, wenn man sie danach gefragt hät­te.2 Und wäh­rend wir uns hier auf den Apnoe-Test bezie­hen, soll­ten wir auch beden­ken, dass in dem Fall, wenn die betref­fen­den Pati­en­ten nicht für eine kli­ni­sche Unter­su­chung in Fra­ge kom­men (wegen phy­sio­lo­gi­scher Insta­bi­li­tät, unmit­tel­ba­rer Ver­let­zung der Hirn­ner­ven, wegen Seda­ti­va im Kör­per, usw.), zusätz­li­che Tests erfor­der­lich sein könn­ten, bei denen die­sel­be Fra­ge auf­taucht, ob eine infor­mier­te Zustim­mung mit glei­cher Wich­tig­keit und Dring­lich­keit erfor­der­lich ist.

Anmer­kung von KAO: Unse­re For­de­rung zur Situa­ti­on in Deutsch­land fin­den Sie in unse­rer Pres­se­mit­tei­lung zum The­ma: “KAO for­dert die Ein­hal­tung des gel­ten­den Rechts auch bei der Hirntoddiagnose”

Wir stel­len fest, dass vie­le Medi­zi­ner sich bei der Vor­stel­lung sträu­ben, dass sie eine infor­mier­te Zustim­mung benö­ti­gen, um eine ärzt­li­che Dia­gno­se stel­len zu kön­nen. Aber wir mei­nen, es gibt meh­re­re ver­nünf­ti­ge und berech­tig­te Grün­de für die Auf­fas­sung, dass Ärz­te dazu ver­pflich­tet sei­en, dies zu tun, und auch dafür, war­um es nicht unbe­grün­det ist, wenn die Bevoll­mäch­tig­ten manch­mal nein sagen.

Ers­tens wird in der Lite­ra­tur beschrie­ben, dass der Apnoe-Test zu schwe­ren Kom­pli­ka­tio­nen füh­ren kann, unter ande­rem einer hämo­dy­na­mi­schen Insta­bi­li­tät, eines Span­nungs­pneu­mo­tho­rax, Pneu­mo­me­dia­sti­num, Arrhyth­mie des Her­zens und Herz­still­stand. Eine Rei­he von 70 Apnoe-Tests, die nach­weis­lich in Über­ein­stim­mung mit den Richt­li­ni­en von 2010 vor­ge­nom­men wur­den,3 ergab, dass 39% der Pati­en­ten ent­we­der einen erkenn­bar zu nied­ri­gen Blut­druck auf­wie­sen oder pro­phy­lak­ti­sche Medi­ka­men­te zur Gefäß­er­wei­te­rung benö­tig­ten, um das hämo­dy­na­mi­sche Gleich­ge­wicht auf­recht zu erhal­ten.4 Wenn auch die strik­te Ein­hal­tung der gel­ten­den Richt­li­ni­en Risi­ken bei der Durch­füh­rung des Apnoe-Tests ver­rin­gern kann, kön­nen bei der übli­chen kli­ni­schen Pra­xis die Risi­ken nur dann gerecht­fer­tigt sein, wenn sie dem Pati­en­ten einen ein­deu­ti­gen Nut­zen brin­gen. Der Apnoe-Test hat kei­nes­falls einen medi­zi­ni­schen Nut­zen für den Pati­en­ten; der ein­zi­ge Nut­zen des Tests läge dar­in, dass die Wei­ter­be­hand­lung eines Pati­en­ten, der für tot erklärt wor­den ist, been­det wür­de. Aber wenn die Bevoll­mäch­tig­ten, deren Auf­ga­be es ist, die Sicht­wei­se und Inter­es­sen des Pati­en­ten zu ver­tre­ten, den Abbruch der Behand­lung als Scha­den und nicht als Nut­zen anse­hen, dann ist das Argu­ment hin­fäl­lig, dass der Apnoe-Test nütz­lich sei.

Zu den Risi­ken von Kom­pli­ka­tio­nen, die auf­tre­ten und dem Pati­en­ten unmit­tel­bar scha­den, könn­te der Apnoe-Test ein zusätz­lich heim­tü­cki­sches Risi­ko mit sich brin­gen, näm­lich das Risi­ko, dass durch einen plötz­li­chen Anstieg von C0² und durch die dar­auf fol­gen­den kar­dio­vas­ku­lä­ren Ver­än­de­run­gen ein wei­te­rer Anstieg des Hirn­drucks erfol­gen kann. Roth und ande­re5 haben vor kur­zem 16 Apnoe-Tests bei 13 Pati­en­ten über­prüft. Die Autoren stell­ten einen beträcht­li­chen Anstieg des Hirn­drucks in der Test­pha­se fest. Solch ein Anstieg ist ein deut­li­cher Hin­weis auf sekun­dä­re Hirn­ver­let­zun­gen bei Pati­en­ten, die neu­ro­lo­gi­sche Schä­di­gun­gen erlit­ten haben. Wich­ti­ger für die­se Debat­te aber ist die Tat­sa­che, dass die Ver­än­de­run­gen der zere­bra­len Hämo­dy­na­mik und Hydro­dy­na­mik nicht zu einer sofort erkenn­ba­ren Kom­pli­ka­ti­on füh­ren, aber zusätz­li­che Schä­den her­bei­füh­ren könn­ten bei Pati­en­ten, die beim ers­ten Test die Kri­te­ri­en für den Hirn­tod nicht erfül­len und infol­ge des Tests zu Hirn­to­ten gemacht wer­den. Da der Test durch­ge­führt wird, bevor man weiß, dass der Pati­ent hirn­tot ist, besteht das Risi­ko hier dar­in, dass ein Test, der erst her­aus­fin­den soll, ob ein Pati­ent tot ist, in Wahr­heit sei­nen Tod herbeiführt.

Man­che könn­ten ein­wen­den, dass wir nicht rou­ti­ne­mä­ßig um Zustim­mung bit­ten bei ande­ren Tests, die wir auf der Inten­siv­sta­ti­on vor­neh­men, und dass der Apnoe-Test davon nicht aus­ge­nom­men wer­den soll­te. Aber die­se Betrach­tungs­wei­se berück­sich­tigt nicht die Umstän­de, unter denen wir ver­pflich­tet sind, eine infor­mier­te Zustim­mung zu erhal­ten. Abge­se­hen von Not­fall-Situa­tio­nen wird die infor­mier­te Zustim­mung bei allen Tätig­kei­ten gefor­dert, die wir am Pati­en­ten aus­üben, vom Mes­sen des Blut­drucks bis zum chir­ur­gi­schen Ein­griff. Pati­en­ten geben bei ihrer Ankunft in der Kli­nik ihre gene­rel­le Zustim­mung zur Behand­lung, und die bezieht alle Tests und Behand­lun­gen ein, bei denen wir erfah­rungs­ge­mäß anneh­men, dass der Pati­ent den Nut­zen der Behand­lung als grö­ßer ein­schätzt als mög­li­che Risi­ken oder Schä­den. Aber wenn wir nicht mit Sicher­heit anneh­men kön­nen, dass der Pati­ent die­se Behand­lung wünscht, haben wir die ethi­sche und juris­ti­sche Pflicht, die infor­mier­te Zustim­mung des Pati­en­ten oder sei­nes Bevoll­mäch­tig­ten ein­zu­ho­len. Da der Apnoe-Test für den Pati­en­ten kei­nen the­ra­peu­ti­schen Nut­zen hat und mög­li­cher­wei­se lebens­be­droh­li­che Risi­ken und Schä­di­gun­gen mit sich bringt, scheint eine Zustim­mung zu die­sem Vor­ge­hen uner­läss­lich zu sein.

Ande­re könn­ten ein­wen­den, dass die Kli­ni­ken ein grund­grund­sätz­li­ches „Recht“ haben zu wis­sen, ob Pati­en­ten leben­dig oder tot sind. Aber die­se küh­ne Behaup­tung muss aus­ein­an­der­ge­nom­men und an eini­gen Punk­ten unter­sucht wer­den. Wenn es ein sol­ches Recht gäbe, dann wäre es gerecht­fer­tigt durch das grund­sätz­li­che Prin­zip von Kli­ni­ken, dass sie ver­pflich­tet sind sicher­zu­stel­len, dass die Inten­siv­sta­tio­nen nicht über­füllt wer­den mit Pati­en­ten, die kei­ner­lei Nut­zen davon haben, und dass die Kli­ni­ken daher das Recht hät­ten, einen mög­li­cher­wei­se schäd­li­chen Test bei Pati­en­ten vor­zu­neh­men, um den Ein­satz von knap­pen Res­sour­cen zu opti­mie­ren. Die­se Behaup­tung wür­de ande­rer­seits auf der Annah­me beru­hen, dass die Inten­siv­sta­tio­nen dadurch, dass man den Pati­en­ten und ihren Ange­hö­ri­gen gestat­ten wür­de, den Apnoe-Test zu ver­wei­gern, dies auf lan­ge Sicht die Inten­siv­sta­tio­nen mit der Lang­zeit-Behand­lung von juris­tisch Toten belas­ten wür­de, deren Ange­hö­ri­ge sich wei­gern zu akzep­tie­ren, dass sie tot sind, und auf die­se Wei­se den­je­ni­gen lebens­ret­ten­de medi­zi­ni­sche Res­sour­cen vor­ent­hal­ten könn­ten, die einen Nut­zen davon hät­ten. Aber wie rea­lis­tisch ist dies?

New Jer­sey gewährt den­je­ni­gen einen reli­giö­sen Wider­spruch, die eine Hirn­tod-Dia­gno­se ableh­nen. In die­sen Fäl­len „soll der Tod fest­ge­stellt und der Todes­zeit­punkt allein auf­grund des Herz-Kreis­lauf-Still­stands erklärt wer­den.“6 Soweit wir wis­sen, sind die Inten­siv­sta­tio­nen in New Jer­sey in den mehr als 25 Jah­ren, seit das Gesetz in Kraft getre­ten ist, nicht über Gebühr mit der Ver­sor­gung von Hirn­to­ten belas­tet wor­den. Auch wenn inter­na­tio­na­le Ver­glei­che hei­kel sind, gibt es kei­ne Bewei­se, dass die Inten­siv­sta­tio­nen in Län­dern, die es grund­sätz­lich den Fami­li­en gestat­ten, eine Hirn­tod-Dia­gno­se abzu­leh­nen (wie z. B. in Japan und Isra­el) spür­bar dadurch belas­tet wer­den. Ein Bericht, der aus Daten aus Japan zusam­men­ge­stellt wur­de, um den Effekt ein­zu­schät­zen, wenn man das Vor­ge­hen in Japan auf die USA über­trägt, kam zu dem Ergeb­nis, dass es nicht mehr als vier bis neun Fäl­le von „ver­län­ger­ter Ver­sor­gung“ von hirn­to­ten Pati­en­ten in den USA jedes Jahr gäbe.7Wenn man dar­über nach­denkt, soll­te die­se Ana­ly­se nicht über­ra­schend sein – die meis­ten Pati­en­ten und deren Fami­li­en wol­len kei­ne nutz­lo­se Wei­ter­be­hand­lung, genau­so wenig wie die Kli­ni­ken dazu bereit sind. Aber auf jeden Fall lässt sich fest­stel­len, dass es, wenn man den Ange­hö­ri­gen das Recht gebe, die Hirn­tod-Dia­gno­se abzu­leh­nen, dies kei­nen wesent­li­chen Ein­fluss auf die Kapa­zi­tät der Inten­siv­sta­tio­nen in unse­rem Land hätte.

Dazu kommt, dass vie­le reli­giö­se Grup­pen wie eini­ge Chris­ten, ortho­do­xe Juden, Shin­tois­ten, Bud­dhis­ten und Mus­li­me, glau­ben, dass der Tod erst dann ein­tritt, wenn das Herz auf­ge­hört hat zu schla­gen. An die­ser Sicht­wei­se ist nichts Unlo­gi­sches, Irra­tio­na­les oder Unmo­ra­li­sches. Die­se Ambi­va­lenz spie­gelt sich auch in den Geset­zen und Gebräu­chen in vie­len Län­dern wider. Zum Bei­spiel wird in vie­len asia­ti­schen Län­dern der Hirn­tod nicht gene­rell als der Tod akzep­tiert. In Japan kön­nen sich die Fami­li­en ent­schei­den, ob sie den Tod nach neu­ro­lo­gi­schen oder nach Herz-Kreis­lauf-Kri­te­ri­en akzep­tie­ren. In der Pra­xis wird der Hirn­tod nur dann fest­ge­stellt, wenn eine Trans­plan­ta­ti­on geplant ist.8 Da die Welt immer glo­ba­ler wird, tref­fen unse­re Kli­ni­ken immer häu­fi­ger auf Pati­en­ten und Fami­li­en, die nicht die grund­le­gen­den Wer­te und Tra­di­tio­nen unse­rer Kul­tur tei­len. Wenn auch unse­re Gesell­schaft nicht ver­pflich­tet ist, Rück­sicht zu neh­men auf reli­giö­se oder kul­tu­rel­le Über­zeu­gun­gen und Nor­men von Min­der­hei­ten, soll­ten wir sie nicht leicht­fer­tig oder grund­los angreifen.

Zusam­men­ge­fasst sagen wir, dass eine sol­che Zustim­mung not­wen­dig ist, auch wenn es sich noch nicht ein­ge­bür­gert hat, die infor­mier­te Zustim­mung der Bevoll­mäch­tig­ten vor dem Apnoe-Test ein­zu­ho­len – weil der Scha­den die­ser Pro­ze­dur groß sein und den Nut­zen über­wie­gen könn­te, weil die­ses Vor­ge­hen kei­nen spür­ba­ren Ein­fluss auf die Ver­füg­bar­keit von Inten­siv­bet­ten haben wür­de und weil eini­ge reli­giö­se Tra­di­tio­nen und Kul­tu­ren das Hirn­tod-Kon­zept aus Gewis­sens­grün­den ablehnen.

Eng­lisch­spra­chi­ger Originaltext


COUN­TER­POINT: Should Infor­med Con­sent Be Requi­red for Apnea Test­ing in Pati­ents With Suspec­ted Brain Death? Yes
by Robert D. Truog and
Robert C. Tasker

Published online: June 15, 2017
in Chest Jour­nal, Offi­ci­al Publi­ca­ti­on of the Ame­ri­can Chest Physicians
https://​jour​nal​.chest​net​.org/​a​r​t​i​c​l​e​/​S​0​0​1​2​-​3​6​9​2​(​1​7​)​31052 – 8/​fulltext

PDF-VER­SI­ON des Originalartikels:
https://​jour​nal​.chest​net​.org/​a​r​t​i​c​l​e​/​S​0​0​1​2​-​3​6​9​2​(​1​7​)​31052 – 8/​pdf

Deut­sche Übersetzung

Rena­te Focke

Lite­ra­tur­an­ga­ben


  1. Thad​de​us​Po​pe​.com. Court cases con­cer­ning con­sent for dia­gno­stic brain death test­ing. https://​www​.thad​de​us​po​pe​.com/​b​r​a​i​n​d​e​a​t​h​/​a​p​n​e​a​c​o​n​s​e​n​t​.html. Acces­sed April 24, 2017. 
  2. Thad​de​us​Po​pe​.com. Brain death resour­ces. https://​www​.thad​de​us​po​pe​.com/​b​r​a​i​n​d​e​a​t​h​.html. Acces­sed April 24, 2017. 
  3. Jeret, J.S. Evi­dence-based gui­de­line update: deter­mi­ning brain death in adults: report of the Qua­li­ty Stan­dards Sub­com­mit­tee of the Ame­ri­can Aca­de­my of Neu­ro­lo­gy. Neu­ro­lo­gy. 2011; 76 307 – 308 doi: http:/​/​dx.​doi.​org/​10.​1212/​WNL.​0b013e3181fe7359 
  4. Jeret, J.S. and Ben­ja­min, J.L. Risk of hypo­ten­si­on during apnea test­ing. Arch Neu­rol. 1994; 51: 595 – 599 doi: http:/​/​dx.​doi.​org/​10.1001/archneur.1994.00540180073016 
  5. Roth, C., Deins­ber­ger, W., Kleff­mann, J., and Fer­bert, A. Int­ra­cra­ni­al pres­su­re and cere­bral per­fu­si­on pres­su­re during apnoea test­ing for the dia­gno­sis of brain death: an obser­va­tio­nal stu­dy. Eur J Neu­rol. 2015; 22: 1208 – 1214 doi: http:/​/​dx.​doi.​org/10.1111/ene.12727 
  6. Olick, R.S. Brain death, reli­gious free­dom, and public poli­cy: New Jersey’s land­mark legis­la­ti­ve initia­ti­ve. Ken­ne­dy Inst Ethics J. 1991; 1: 275 – 288 doi: http:/​/​dx.​doi.​org/10.1353/ken.0.0068 
  7. Mura­mo­to, O. Infor­med con­sent for the dia­gno­sis of brain death: a con­cep­tu­al argu­ment. Phi­los Ethics Huma­nit Med. 2016; 11: 8 doi: http:/​/​dx.​doi.​org/10.1186/s13010-016‑0042‑4 
  8. Japan Organ Trans­plant Net­work. Views on brain death. https://​www​.jotnw​.or​.jp/​e​n​g​l​i​s​h​/​0​5​.html. Acces­sed April 24, 2017.