Schweigen ist keine Zustimmung

Stel­lung­nah­me von „KAO: Kri­ti­sche Auf­klä­rung über Organ­trans­plan­ta­ti­on e. V.“ zur erneut gefor­der­ten Widerspruchslösung

Die erneut gefor­der­te Wider­spruchs­lö­sung lehnt KAO ab. Men­schen die sich nicht zu einer Organ­spen­de am Lebens­en­de äußern, dür­fen nicht auto­ma­tisch Organ­spen­der wer­den. Schwei­gen bedeu­tet kei­ne Zustimmung.

Auch die gel­ten­de Ent­schei­dungs­lö­sung ist kei­ne Alter­na­ti­ve, da in der Bevöl­ke­rung nach wie vor ein kras­ses Infor­ma­ti­ons­de­fi­zit besteht, wie eine Organ­spen­de abläuft.

Eine Explan­ta­ti­ons-OP fin­det immer bei lau­fen­der Beatmung statt, aber „Tote“ kann man nicht beatmen, nur auf­bla­sen. Das heißt, der Pati­ent ist kein Ver­stor­be­ner, allen­falls ein Ster­ben­der, des­sen Ster­ben durch die künst­li­che Beatmung ver­hin­dert wer­den muss.

Eine Organ­ent­nah­me bedingt immer den Ein­satz inten­siv­me­di­zi­ni­scher Maximaltherapie.

Schon Prof. Pichl­mayr erklär­te 1987 im Bei­sein des Recht­me­di­zi­ners Prof. Trö­ger gegen­über Rena­te und Lutz Grei­nert:

Wenn wir die Gesell­schaft auf­klä­ren, bekom­men wir kei­ne Orga­ne mehr“.

Prof. Pichl­mayr Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zi­ner 1987
Men­schen sind kei­ne Ware

Nach wie vor wird die Gesell­schaft nur ein­sei­tig im Sin­ne der Wer­bung für eine Organ­spen­de beein­flusst. Es feh­len ihr alle Fak­ten, um eine bewuss­te, infor­mier­te Ent­schei­dung fäl­len zu kön­nen. Der bedeu­ten­de Phi­lo­soph Hans Jonas hat erklärt, dass bei der Organ­ent­nah­me nicht das Vor­stell­ba­re pas­siert, son­dern das Unvorstellbare.

Es ist nicht vor­stell­bar, dass schwer ver­letz­te Ster­ben­de nicht im Schut­ze ihrer Fami­li­en in ein behü­te­tes Ster­ben glei­ten kön­nen, son­dern dass Ärz­te Anspruch auf ihre Orga­ne und Kör­per­tei­le anmel­den und ihre Pati­en­ten mit einem Ver­wer­tungs­blick betrachten. 

Eine unauf­ge­klär­te Gesell­schaft wird über den Tisch gezo­gen – wel­che Kon­se­quen­zen das für die Organ­spen­der und ihre Fami­li­en hat, scheint zweit­ran­gig. Es wird verschwiegen.

Die Gesell­schaft wird im Unkla­ren über die Bedeu­tung des Hirn­to­des im Ster­be­pro­zess eines Men­schen gelas­sen. Es reicht nicht, den Hirn­tod in „Irrever­si­bler Hirn­funk­ti­ons­aus­fall“ umzu­de­fi­nie­ren. Die Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin muss deut­lich sagen, dass Hirn­to­te einen eige­nen Herz­schlag haben, noch wäh­rend der Ent­nah­me-OP beatmet wer­den, dass sie mus­kel­ent­span­nen­de Medi­ka­men­te bekom­men, not­falls wie­der­be­lebt wer­den, wenn sie vor der Organ­ent­nah­me ver­ster­ben. Sie sind also nicht tot, wie die Gesell­schaft sich den Tod vorstellt.

Hirn­tod war und ist nicht gleich Tod, son­dern es ist eine Definition!

Die Para­me­ter für die Hirn­tod­dia­gnos­tik sowohl in Euro­pa und selbst im Euro­trans­plant-Ver­bund sind unterschiedlich. 

Auch in den USA, erklä­ren die Autoren des „World Brain Death Pro­jects“, wer­den in einem Staat eine Per­son als „tot“, in einem ande­ren als „nicht tot“ ange­se­hen.[1]

Nach 52 Jah­ren Har­vard-Defi­ni­ti­on ver­sucht die­ses neue Uni­ver­sal-Hirn­tod-Pro­jekt den „Hirn­tod“ zu ver­ein­heit­li­chen und für alle Zei­ten zu ver­hin­dern, dass die ursprüng­li­chen Para­me­ter (vor allem die von 1981) noch eine Rol­le spielen.

Der Tod, der immer ein­deu­tig war und sich selbst erklär­te, ist nun abhän­gig von den unter­schied­lichs­ten Defi­ni­tio­nen, die im Inter­es­se der Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin immer mehr ins Leben ver­scho­ben werden.

Mehr als 50 Jah­re wur­de die Gesell­schaft über den Hirn­tod im Unkla­ren gelas­sen. All­mäh­lich sickert es in der inter­na­tio­na­len medi­zi­ni­schen Fach­li­te­ra­tur durch, dass zwi­schen den Kri­te­ri­en für den Hirn­tod, die in den Geset­zen ver­an­kert sind, und den aner­kann­ten Tests, die Ärz­te zur Dia­gno­se des Hirn­tods ver­wen­den, erheb­li­che Dis­kre­pan­zen exis­tie­ren. Dis­ku­tiert wird z.B., dass die Irrever­si­bi­li­tät des Hirn­to­des- eine unab­ding­ba­re Vor­rau­set­zung für die Organ­ent­nah­me – offen­bar über­haupt nicht ver­läss­lich fest­zu­stel­len ist.

Schwer hirn­ver­letz­te Pati­en­ten brau­chen Zeit und medi­ka­men­tö­se Unter­stüt­zung, um sich zu erho­len. Wenn die Durch­blu­tung des Gehirns unter 50% sinkt, zeigt der Pati­ent bei der Hirn­tod­dia­gnos­tik unter Umstän­den kei­ner­lei Reak­ti­on, auch, wenn er Schmerz­rei­zen aus­ge­setzt wird. Man spricht dann von einem „stil­len Hirn“, das eben noch nicht irrever­si­bel geschä­digt sein muss. Die­se Pati­en­ten kön­nen sich bei Unter­stüt­zung womög­lich erho­len, oder sie erfül­len nach einer gewis­sen Zeit­span­ne nicht mehr die Kri­te­ri­en des Gesamthirntodes.

Renom­mier­te US-Neu­ro­lo­gen wie James L. Ber­nat, die die Hirn­tod-Kri­te­ri­en 2018 bei einem inter­na­tio­na­len Kon­gress in Har­vard noch ver­tei­digt haben, sind in Punk­to Gleich­set­zung von Hirn­tod und Tod erstaun­lich nach­denk­lich gewor­den.[2]

Die Hirn­tod­dia­gnos­tik ist offen­bar doch nicht so sicher, wie uns die Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin glau­ben machen möch­te. Es gibt nicht nur in den USA son­dern auch in Euro­pa immer wie­der ein­mal Fäl­le, in denen Men­schen von den Ärz­ten als hirn­tot bezeich­net wur­den und die spä­ter in ein nor­ma­les Leben zurückkehrten.

Die Aus­sa­ge, die Hirn­tod­dia­gno­se sei „tod­si­cher“ – „andern­falls war die Dia­gnos­tik nicht kor­rekt“ ist spä­tes­tens seit dem Fall der Jahi McMath wider­legt. Der mitt­ler­wei­le his­to­ri­sche Fall war Auf­takt für die inter­na­tio­na­le Hirn­tod­kon­fe­renz an der Har­vard Medi­cal School of Bio­e­thics im April 2018. Die 13 jäh­ri­ge Jahi wur­de im Dezem­ber 2013 von meh­re­ren ame­ri­ka­ni­schen Neu­ro­lo­gen lege artis als hirn­tot dia­gnos­ti­ziert. Die Mut­ter kämpf­te dar­um, dass sie nicht von der Beatmung abge­nom­men wur­de. Sie ließ Jahi heim­lich in eine ande­re Kli­nik, spä­ter dann in eine pri­vat ange­mie­te­te Unter­kunft ver­le­gen. Nach einer gewis­sen Zeit reagier­te das koma­tö­se Mäd­chen auf Anwei­sun­gen sei­ner Mut­ter, Hand oder Fuß zu bewe­gen. Außer­dem kam Jahi McMath in die Puber­tät und menstru­ier­te. Der bekann­te ame­ri­ka­ni­sche Neu­ro­lo­ge Pro­fes­sor D. Alan Shew­mon wur­de ein­ge­schal­tet. Er unter­such­te den Fall und regis­trier­te bei Jahi McMath ein­deu­ti­ge Lebens­zei­chen auf Basis eines Mini­mal­ly Con­scious sta­te (MCS), also einem „mini­ma­len Bewusst­seins­zu­stand“.[3]

Jahi McMath starb im Juni 2018, vier­ein­halb Jah­re, nach­dem sie für irrever­si­bel hirn­tot erklärt wur­de, an Lun­gen­ver­sa­gen. Ihr Fall bedeu­tet in den Augen man­cher Wis­sen­schaft­ler eine Zeitenwende.

Nichts von der Pro­ble­ma­tik des Hirn­to­des ist der Gesell­schaft – ein­schließ­lich vie­ler Poli­ti­ker und lei­der auch Medi­zi­ner – bewusst. Trotz­dem wird die Wider­spruchs­lö­sung von der Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin und Poli­ti­kern wei­ter pro­pa­giert und von den Inter­es­sen­ver­bän­den der Trans­plan­tier­ten mit Nach­druck wei­ter ein­ge­for­dert.[4]

Organ­ent­nah­men sind genau das Gegen­teil von pal­lia­tiv beglei­te­tem Ster­ben. Wenn die Gesell­schaft die­sen Kon­flikt nicht begrei­fen darf, dann ent­schei­den Men­schen, ohne die Trag­wei­te wirk­lich zu kennen.

Die Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zi­ner for­dern in solch einem Fall, dass der so mani­pu­lier­te Pati­en­ten­wil­le vorgeht!

Damit schließt sich der Teufelskreis

Lite­ra­tur­hin­wei­se
  1. Deut­sches Ärz­te­blatt, 31. Aug. 2020; World Brain Death Pro­jekt: Glo­ba­le Stan­dards für Hirn­tod-Dia­gno­se mit Unter­schie­den im Detail
  2. Natha­ni­el Rob­bins, James L. Ber­nat: What should we do about the Mis­match Bet­ween Legal Cri­te­ria for Death and How Death is dia­gno­sed. AMA J Ethics, Poli­cy Forum 12/ 2020(12: E1038-1046
  3. D.Alan Shew­mon: State­ment in Sup­port of Revi­sing the Uni­form Deter­mi­na­ti­on of Death Act in Oppo­si­ti­on to a Pro­po­sed Revi­si­on. The Jour­nal of Medi­ci­ne and Phi­lo­so­phy, jhb 14, May2021 – Die Deut­sche Über­set­zung der Zusam­men­fas­sung die­ses Arti­kels fin­den Sie hier bei KAO: https://​initia​ti​ve​-kao​.de/​s​t​e​l​l​u​n​g​n​a​h​m​e​-​z​u​r​-​u​n​t​e​r​s​t​u​e​t​z​u​n​g​-​d​e​r​-​u​e​b​e​r​a​r​b​e​i​t​u​n​g​-​d​e​s​-​g​e​s​e​t​z​e​s​-​u​b​e​r​-​d​i​e​-​e​i​n​h​e​i​t​l​i​c​h​e​-​f​e​s​t​s​t​e​l​l​u​n​g​-​d​e​s​-​t​o​d​e​s​-​i​n​-​d​e​n​-usa/
  4. Der BGH sagt aus­drück­lich: SCHWEI­GEN IST KEI­NE ZUSTIM­MUNG!
    In einem bahn­bre­chen­den Urteil hat der Bun­des­ge­richts­hof ent­schie­den, dass die in den Geschäfts­be­din­gun­gen der Ban­ken übli­chen For­mu­lie­run­gen, der Kun­de neh­me eine Ände­rung der Bedin­gun­gen hin, wenn er nicht wider­spre­che, ungül­tig sei. 28.04.21

    Umso mehr muss das bei der Ver­fü­gung über unse­re Orga­ne gel­ten! Anm. KAO