Eine feine Linie – Ist es an der Zeit, die „dead-donor-rule“ neu zu bewerten?

Er ver­han­delte ger­ade einen Fall vor Gericht, als er sich an den Kopf griff und kol­la­bierte. Mas­sive Hirn­blu­tung. Der 45jährige Recht­san­walt wur­de sofort in das Boston’s Brig­ham and Women’s Hos­pi­tal eingeliefert.

Den Ärz­ten auf der Inten­sivs­ta­tion war sofort klar, dass der Pati­ent eine irre­versible Hirn­schädi­gung erlit­ten hat­te; er wür­de nie wie­der auf­wa­chen. Sechs Tage spä­ter tra­fen sei­ne Frau und sei­ne bei­den Kin­der im Teen­ag­er-Alter die herzzer­reis­sende Entschei­dung, die lebenser­hal­tenden Maß­nah­men zu been­den. Zumin­d­est, so dacht­en sie. kön­nten sie den Wun­sch ihres Ehe­mannes und Vaters erfül­len, der sei­ne Orga­ne spen­den wollte.

Es war jedoch nicht so einfach.

Auf­grund ein­er natio­na­len Übereinkun­ft, auch als dead-donor-rule beze­ich­net, durf­ten die Trans­plan­ta­tion­s­medi­zin­er die Orga­ne erst dann ent­nehmen, wenn der Pati­ent tot war. Da er nicht alle Kri­te­rien für die eine Todes­de­f­i­n­i­tion – den Hirn­tod – erfüll­te, gab es nur noch die Mög­lich­keit für die Fam­i­lie, sei­ne Orga­ne nach dem Herzstill­stand zu spenden.

Der Pati­ent wur­de in den OP gebracht, und sei­ne kün­stliche Beat­mung wur­de abge­brochen. Dann begann die War­te­zeit: Wenn das Herz inner­halb ein­er Stun­de ste­hen­blieb und nicht weni­ge Minu­ten spä­ter wie­der spon­tan zu schla­gen begann, dann wür­de der behan­del­nde Arzt ihn für tot erk­lären, und dann wür­den Trans­plan­ta­tion­schirur­gen dazukom­men und die brauch­baren Orga­ne ent­nehmen. Wenn man noch län­ger war­te­te, dann wür­den die Orga­ne wegen des schwa­chen Kreis­laufs unbrauch­bar werden.

Drei­ßig Minu­ten vergin­gen: Die Chan­ce, eine tran­plantier­bare Leber ent­nehmen zu kön­nen, war verstrichen.

Sein Herz kämpf­te und schlug immer noch.

45 Minu­ten vergin­gen. Sech­zig Minu­ten. Nie­ren und Bauch­spe­ichel­drüse waren nicht mehr brauchbar.

Nach 80 Minu­ten gab das Team die Hoff­nung auf, sog­ar die robus­tes­ten Orga­ne zu ret­ten. Der Pati­ent begann die Rei­se zurück auf die Inten­sivs­ta­tion. Sein Herz blieb im Fahr­stuhl stehen.

Sei­ne Frau war sehr aufge­bracht. Die Ärz­te waren aufge­bracht“, dar­an erin­nert sich Tho­mas Coch­ra­ne, Assis­­tenz-Pro­­fes­­sor für Neu­rolo­gie am Brig­ham and Women’s, der nach dem Vor­fall mit der Fam­i­lie sprach. „Sie kon­nte nicht ver­ste­hen, war­um man die Orga­ne ihres Man­nes nicht her­aus­nehmen kon­nte, bevor sein Herz aufge­hört hat­te zu schla­gen. Nie­mand hat­te etwas davon, dass die Din­ge so abliefen.“

Auch 50 Jah­re, nach­dem die ers­ten Organtrans­plan­ta­tio­nen vorgenom­men wur­den, bleibt die „dead-donor-rule“ ein heiß umstrit­te­nes The­ma in der Tran­s­­plan­­ta­­ti­ons-Medi­­zin. Sie ist ethis­ch­er Stan­dard, kein Gesetz. Eini­ge ihrer bekan­ntesten Kri­tik­er sind an der Har­vard Med­ical School zu find­en. Eben­so auch eini­ge ihrer hart­näck­ig­sten Verfechter.

Schie­ben, Ziehen

Befür­worter der Beibehal­tung der „dead-donor-rule“ beto­nen, dass es das Ver­trauen der Öffent­lich­keit in die Organtrans­plan­ta­tion stärkt, indem man den poten­ziellen Spen­dern und ihren Ange­höri­gen zusi­chert, dass die Orga­ne erst dann ent­nom­men wer­den, wenn der­jenige für tot erk­lärt wor­den ist. Die­se Dead-Donor-Rule über­lässt die Ver­ant­wor­tung den Ärz­ten und Chirur­gen, sicher­zu­stel­len, dass die Ent­nahme des Her­zens oder der Lun­ge z.B. nicht den Tod eines Patien­ten verur­sacht. Vielle­icht noch wich­ti­ger: sie unter­stre­icht die zugrun­deliegende medi­zinis­che Dok­trin, dem Patien­ten kei­nen Scha­den zuzufügen.

Nach mein­er Ein­schätzung auf der Ska­la zwis­chen Ver­trauen und Zweck­mäßigkeit zie­he ich Ver­trauen vor“, sagt Fran­cis Del­moni­co, HMS (Har­vard Med­ical School)-Professor der Chir­ur­gie, der auch am Mass­a­chu­setts Gen­er­al Hos­pi­tal tätig und Vor­sitzen­der der „New Eng­land Organ Bank“ ist.

Kri­tik­er heben her­vor, dass der Scha­den bere­its einge­treten ist. Ster­bende Patien­ten, die nicht den stren­gen Anforderun­gen der „dead-donor-rule“ ent­spre­chen, die aber ihre Orga­ne spen­den wol­len, wer­den dar­an gehin­dert. Ihre Ange­höri­gen müs­sen einen dop­pel­ten Ver­lust erlei­den, einen Tod ohne die Mög­lich­keit, ande­re zu ret­ten. Manch­mal bringt die Verpflich­tung, sich an die Regeln zu hal­ten, die Prak­tik­er zur Verzwei­flung und hält Patien­ten, die ihre Orga­ne spen­den wol­len, davon ab und ver­schlechtert die Qual­ität der trans­plantier­baren Organe.

Aus der Per­spek­tive des Spen­ders kann die „dead donor rule“ mit den legit­i­men ethis­chen und medi­zinis­chen Zie­len kol­li­dieren“, sagt Coch­ra­ne, der auch Leit­er der Abtei­lung für Neu­roethik ist am HMS Cen­ter for Bioethics.

Eine laut­starke Min­der­heit, ange­führt von Robert Truog, Leit­er des HMS Cen­ter for Bio­e­thics und des Fran­ces Gless­ner Lee Pro­fes­sor of Med­cal Ethics, Anaes­the­sia und Kinder­heilkunde am HMS und Bos­ton Children’s Hos­pi­tal ist der Überzeu­gung, das medi­zinis­che Estab­lish­ment soll­te die „dead donor rule“ abschaf­fen und sich statt­des­sen dar­auf konzen­tri­eren, den Scha­den zu min­imieren und statt­des­sen die Zus­tim­mung zu maximieren.

Mit ein­er klar­eren Vorge­hensweise“, sagt Truog, kön­nten wir es den Men­schen ermög­lich­en zu ster­ben, wie sie es wol­len, wobei man ihnen gle­ichzeit­ig ermög­lich­en wür­de, ihren Wun­sch nach Organ­spen­de zu erfüllen.“

Obwohl weit­er­en­twick­elte chirur­gis­che Ver­fahren Trans­plan­ta­tio­nen erfol­gre­ich­er gemacht haben, gibt es einen anhal­tenden Man­gel an inne­ren Orga­nen. Die Abschaf­fung der „dead-donor-rule“ wür­de wohl einen Weg zu mehr Organ­spen­den öff­nen, aber Coch­ra­ne und Truog stel­len klar, dass der entschei­dende Grund für eine erneu­te Über­prü­fung nicht der Man­gel an Orga­nen ist, son­dern eher die Absicht, den Patien­ten und den Ärz­ten gerecht zu wer­den und sich mit den sich verän­dern­den Todes­de­f­i­n­i­tio­nen auseinanderzusetzen.

Der Preis, den die Gesell­schaft zahlt, indem sie dar­auf beste­ht, dass die Medi­zin­er sich an die „dead-donor-rule“ hal­ten, ist immens hoch“, sagt Dani­el Wik­ler, Pro­fes­sor für Ethik und Gesund­heit­spoli­tik am Mary B. Salton­stall Pop­u­la­tion Health an der Har­vard T.H. Chan School of Pub­lic Health.

Die Geburt des Todes

Eini­ge sagen, dass die­se Debat­te in den spä­ten 1960 er Jah­ren begann, als ein HMS Adhoc- Komit­tee unter Lei­tung von Hen­ry Beech­er, 32, damals HMS-Pro­­fes­­sor für Anaes­the­si­olo­gie, sich dafür ein­set­zte, die Todes­de­f­i­n­i­tion des Black‚s Law Dic­tio­nary auszuweit­en und dabei auch das ein­zu­schlie­ßen, was franzö­sis­che Medi­zin­er als Koma depas­sé beze­ich­neten und was das Bee­ch­er-Komi­t­­tee Hirn­tod nan­nte, d.h. den völ­li­gen und irre­versiblen Ver­lust der Hirnfunktionen.

Ein Organ, Gehirn oder ande­res, das nicht mehr funk­tion­iert und auch kei­ne Mög­lich­keit hat, erneut zu funk­tion­ieren, ist für alle prak­tis­chen Zwe­cke tot“, schrieb das Komi­tee 1968 in JAMA. Dann beschrie­ben sie die Kri­te­rien für die Fes­tle­gung, ob ein Gehirn für immer aus­ge­fall­en war.

Der „Uni­form Deter­mi­na­tion of Death Act“, auch als UDDA beze­ich­net, wur­de zu Beginn der 1980er erlas­sen und von allen 50 Bun­desstaat­en ver­ab­schiedet und bestä­tig­te die Entschei­dung des Komi­tees, den Hirn­tod als eine von zwei juris­tis­chen Voraus­set­zun­gen für den einge­trete­nen Tod auf­zu­füh­ren, neben der tra­di­tionellen Def­i­n­i­tion des irre­versiblen Still­stands von Kreis­lauf und Atmung.

Die­se bei­den Regelun­gen, zusam­men mit der Zus­tim­mung der Ange­höri­gen, ermöglicht­en es den Ärz­ten, bei juris­tisch für tot erk­lärten Patien­ten die lebenser­hal­tenden Maß­nah­men zu been­den, wodurch sie wed­er einen Mord beg­in­gen noch son­st etwas Ille­gales tat­en. Somit legit­imierten die­se Fes­tle­gun­gen ein Lager von zur Spen­de geeig­ne­ten Orga­nen, die immer noch ernährt und mit Sauer­stoff ver­sorgt wurden.

Ob die Teil­nehmer des Bee­ch­er-Komi­­tees oder des UDDA-Komi­­tees durch das Ziel ange­trie­ben wur­den, den Vor­rat an ver­füg­baren Orga­nen zu stei­gern und ob sie die Def­i­n­i­tion des biol­o­gis­chen Todes so zurecht­bo­gen, dass es dazu pass­te, bleibt eine Kontroverse.

Eini­ge weni­ge Prak­tik­er wie Truog sagen, dass das Komi­tee dif­feren­ziert­er hät­te sein kön­nen. Sie hät­ten sagen kön­nen, dass Patien­ten ohne auto­no­men Kreis­lauf oder Atem­funk­tion und ohne Aus­sicht dar­auf, ihr Bewusst­sein wie­der zu erlan­gen, tech­nisch gese­hen noch am Leben sind, und es ethisch gerecht­fer­tigt sei, ihre vital­en Orga­ne zu ent­nehmen, wenn eine Zus­tim­mung vor­lag. Für die meis­ten Medi­zin­er jedoch beste­ht kein Zwei­fel dar­an, dass sowohl der Hirn­tod als auch der Tod nach Kreis­lauf-Stil­l­­stand den wah­ren Tod bedeuten.

Wik­ler set­zte sich mit die­sen Fra­gen auseinan­der, als er Mit­glied der „Pres­i­den­tial Com­mis­sion“ war, die das UDDA ent­warf. Er hat­te ein Paper veröf­fentlicht, in dem er begrün­dete, war­um der Hirn­tod nicht als Tod bew­ertet wer­den soll­te, aber Kol­le­gen dräng­ten ihn dazu, sei­ne Posi­tion für den Bericht zu über­denken, oder er wür­de das Risi­ko einge­hen, dass die Öffent­lich­keit alar­miert würde.

Schließ­lich muss­te er sich der Fra­ge stel­len: „Was ist mei­ne Pri­or­ität? Geht es mir dar­um, Leben zu ret­ten oder dar­um, an mei­nen Überzeu­gun­gen festzuhal­ten?“ Er entsch­ied sich: „Leben zu ret­ten ist wichtiger.“

Die­ser Stan­dard wur­de beibehal­ten: Der Tod des Spen­ders ist die ein­zi­ge Mög­lich­keit, um vita­le Orga­ne gewin­nen zu können.

Möglicher­weise wäre es auf lan­ge Sicht bess­er gewe­sen, eher über die „dead-donor rule“ zu disku­tieren als über den Hirn­tod“, sagt Cochrane.

Vie­le Wege füh­ren zum Ziel

Der Hirn­tod ist nicht der ein­zi­ge Aspekt der „dead-donor-rule“, der prak­tis­che und seman­tis­che Dilem­ma­ta hervorruft.

Es gibt kei­ne genau­en Sta­tis­tiken dar­über, wie vie­le Orga­ne infol­ge war­mer Ischä­mie ver­loren gegan­gen sind – eine Schädi­gung durch man­gel­hafte Durch­blu­tung bei Kör­pertem­per­atur – aber ein Paper von 2014 im Amer­i­can Jour­nal of Bio­e­thics gab die Ein­schätzung, dass die War­te­zeit auf den Herzstill­stand nach Beendi­gung der lebenser­hal­tenden Maß­nah­men und nach ein­er weit­eren War­te­zeit von eini­gen Minu­ten jähr­lich 2.200 Orga­ne aus dem Organ-Pool unbrauch­bar macht. Weit­ere 6.700 Orga­ne gehen durch­schnit­tlich jedes Jahr ver­loren, wäh­rend man dar­auf war­tet, dass die Spen­der mit schw­eren Hirn­ver­let­zun­gen in den Zus­tand des Hirn­todes übergehen.

Die Anzahl der beschä­dig­ten oder unbrauch­baren Orga­ne in Ver­bin­dung mit fehlen­dem ein­deutigem Nach­weis über die Min­dest­wartezeit, wonach ein nicht schla­gen­des Herz mut­maßlich nicht von allein wie­der anfängt zu schla­gen, hat eini­ge Ein­rich­tun­gen dazu gebracht, die War­te­zeit nach Herzstill­stand zu ver­kür­zen. Die­se schrumpf­te an ein­er Kli­nik in Col­orado z.B. von zwei Minu­ten auf 75 Sekunden.

Seit­dem außer­dem eini­ge Her­zen, die nach dem soge­nan­nten Herz­tod ent­nom­men wur­den, trans­plantiert und wie­der zum Schla­gen gebracht wer­den kön­nen, sind Diskus­sio­nen ent­bran­nt, ob der Spen­der wirk­lich tot war.

In gerin­ger Anzahl hat sich lan­desweit auch die Orga­nent­nahme bei „unmit­tel­bar bevorste­hen­dem Tod“ entwick­elt. Nach die­sem Ver­fahren ent­nehmen die Chirur­gen die Nie­re oder einen Leber­lap­pen nach Zus­tim­mung, las­sen dem Patien­ten ein paar Tage zur „Erhol­ung“ und been­den dann die kün­stliche Beat­mung. Die War­te­zeit soll nach­weisen, dass die Orga­nent­nahme den Patien­ten nicht getö­tet hat.

Die­se und ande­re Vari­a­tio­nen „haben vie­le Men­schen unan­genehm berührt“, sagt Truog.

Truog trug mit dazu bei, das Ver­fahren bei der Spen­de nach Herz­tod am Bos­ton Children’s Hos­pi­tal ein­zu­füh­ren, und er gehört zu denen, die nicht vie­le Wor­te dar­über ver­lieren. „Wir beacht­en die „dead donor rule“ hier“, sagt er. Statt­des­sen set­zen er und sei­ne Kol­le­gen sich für Klar­heit und Trans­parenz ein.

Öffent­li­che Meinungen

Diejeni­gen, die sich für die Abschaf­fung der „dead-donor-rule“ ein­set­zen, beto­nen, dass ein neu­es Sys­tem beson­ders hohe Stan­dards bei der Zus­tim­mung erfor­dert und die Zusi­che­rung, dass den Spen­dern kein Scha­den zuge­fügt wird. Stren­ge medi­zinis­che, juris­tis­che und ethis­che Richtlin­ien müss­ten das sicherstellen.

Unter Beach­tung die­ser Vor­sichts­maß­nah­men stirbt kein Pati­ent infol­ge der Orga­nent­nahme, der nicht auch son­st nach Beendi­gung der lebenser­hal­tenden Maß­nah­men gestor­ben wäre“, schreibt Truog als Ko-Autor 2008 im New Eng­land Jour­nal of Medicine.

Sorg­fäl­tig über­ar­beit­ete Vor­schrif­ten, so heißt es, wür­den dazu beitra­gen, dass ver­let­zliche Men­schen wie Demen­te und Geis­teskranke geschützt wer­den, und auch ver­hin­dern, dass Men­schen sich für eine Selb­st­tö­tung durch Organ­spen­de entscheiden.

Sog­ar bei die­sen vorgeschla­ge­nen Sicher­heitsvorkehrun­gen hält die Angst vor öffentlich­er Ver­ur­tei­lung bei­de Seit­en davon ab, dar­über in der Öffent­lich­keit zu spre­chen. Wenn man die Mög­lich­keit erwäh­nt, dass die Orga­ne ent­nom­men wer­den, bevor die Men­schen tot sind, oder auch nur andeu­tet, dass es so schon gesche­hen kön­nte, wür­de das frag­ile Ver­trauen erschüt­tert, das der Trans­plan­ta­tion­s­medi­zin seit den 60er Jah­ren ent­ge­genge­bracht wurde.

Wir wol­len dies ver­mei­den“, sagt Wik­ler. „Die Organtrans­plan­ta­tion ist mit ein­er der Grün­de, dass wir dank­bar sein kön­nen für die mod­erne Medizin.“

Aber wür­de die­ses Ver­trauen tat­säch­lich erschüt­tert wer­den? Vor­sichtige Opti­mis­ten wie Truog und Coch­ra­ne ver­weisen auf Erfahrun­gen in den Kli­ni­ken, wonach die Ange­höri­gen ihre hirn­toten Ange­höri­gen beze­ich­nen als „Sie wer­den durch kün­stliche Beat­mung am Leben erhal­ten“, aber kei­ne Beden­ken haben, ihre Orga­ne zur Spen­de freizugeben.

Eini­ge weni­ge Stu­di­en haben ver­sucht, die öffent­li­che Mei­n­ung ein­zu­schät­zen. In ein­er Umfra­ge unter tau­send US-Bür­g­ern, so der Bericht des Jour­nal of Med­ical Ethics sag­ten 71 Pro­zent der Befrag­ten, es soll­te geset­zlich erlaubt sein, die Orga­ne von Patien­ten im irre­versiblen Koma zu ent­nehmen, auch wenn die Organ­spen­de ihren Tod her­beiführt; 67 Pro­zent sag­ten, sie wür­den in ein­er sol­chen Sit­u­a­tion ihre Orga­ne spen­den. Allerd­ings ergab eine Umfra­ge von 2016 im Jour­nal of Med­i­cine and Phi­los­o­phy, dass die Öffent­lich­keit „zuneh­mend kri­tisch“ ist in Bezug auf Kon­flik­te zwis­chen Organ­spen­de und Todesfeststellung.

War­te­zeit?

Vor vier­zig Jah­ren wur­de die Been­dun­gung von lebenser­hal­tenden Maß­nah­men in hoff­nungslosen Fäl­len für die entschei­dende Todesur­sache gehal­ten. Im Lauf der Zeit wur­den die Geset­ze geän­dert, da Medi­zin­er und Lai­en sich dar­auf einig­ten, dass der Zus­tand des Patien­ten die Todesur­sache war. Die gle­iche Mei­n­ungsän­derung kön­nte auch bei der Ent­nahme der Orga­ne auftreten.

Wenn Organ­banken und Poli­tik­er kon­ser­v­a­tiv blei­ben bei ihren Bemühun­gen, lebens­fähige Orga­ne ent­nehmen zu dür­fen, dann liegt dies dar­an, dass die medi­zinis­che Prax­is sich lang­sam umstel­len muss und dar­auf war­tet, dass sich die medi­zinis­chen und gesell­schaft­li­chen Anschau­un­gen ändern.

Wäh­rend sie auf die­se Chan­ce war­ten, kön­nten Kri­tik­er der „dead-donor-rule“ das eine den­ken und das ande­re tun.

Ich bin irgend­wie zwei­ge­teilt“, sagt Truog. „Als Inten­sivmedi­zin­er muss ich mich an den „sta­tus quo“ hal­ten. In Gesprä­chen mit Kol­le­gen und wenn ich unter­richte, rede ich anders darüber.“

Vielle­icht muss die dead-donor-rule, so frag­il sie auch sein mag, noch weit­ere zehn oder 20 Jah­re Gül­tig­keit haben, bis die eine oder ande­re For­schung eine ande­re Ver­sorgung mit Orga­nen ermöglicht.

Wenn Orga­ne nur von Schwei­nen stamm­ten, benö­tig­ten wir kei­ne Diag­nose wie den „Hirn­tod“ mehr“, so Truog. „Vielle­icht soll­ten wir ein­fach noch warten.“

Aber auf den tech­nol­o­gis­chen „deus ex machi­na“ zu war­ten ist nicht für jeden das Rich­ti­ge. „Ich hof­fe, das geschieht bald, weil jed­er davon prof­i­tieren wird“, sagt Coch­ra­ne, „und gle­ichzeit­ig möch­te ich nicht, dass dies pas­siert, weil die­se Form der Ethik noch auf ihre Erfol­ge hin über­prüft wer­den muss.“

Wenn eines Tages Ärz­te, Chirur­gen, Patien­ten, Fam­i­lien, Recht­san­wälte, Poli­tik­er, Ethik­er und ande­re dar­in übere­in­stim­men, dass eine Über­win­dung der „dead-donor-rule“ bess­er wäre als sie beizube­hal­ten, dann gäbe es Grund zum Fei­ern und um sich Sor­gen zu machen. Die Schlacht um Def­i­n­i­tio­nen und mehr Pati­en­­ten-Auto­no­mie wäre gewon­nen, aber dann müss­te die schwe­re Auf­gabe, sie anzuwen­den, in Angriff genom­men werden.

Ste­pha­nie Dut­chen schreibt wis­senschaftliche Tex­te für das Büro für Kom­mu­nika­tion und Außen­beziehun­gen der Har­vard Med­ical School (HMS Office of Com­mu­ni­ca­tion and Exter­nal Relations).

Eng­lisch­spra­chi­ger Originaltext

A Fine Line- Is it time to recon­sid­er the dead-donor rule?
by Ste­pha­nie Dutchen

Pub­lished online: Autumn 2016
in Ethics of Har­vard Medi­zine Magazine

Deut­sche Übersetzung

Rena­te Focke