KAO – Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zur geplanten Änderung des Transplantationsgesetzes

Sehr geehr­te Abge­ord­ne­te des Deut­schen Bundestages, 

als Eltern von Kin­dern, die auf­grund unse­rer Zustim­mung zu Organ- und Gewe­be­spen­dern wur­den, wen­den wir uns aus aktu­el­lem Anlass an Sie. Ange­sichts der Trag­wei­te des medi­zin­ethisch und recht­lich hoch­kom­ple­xen Rege­lungs­be­reichs einer Organ­ent­nah­me möch­ten wir Sie drin­gend dar­um bit­ten, bei der beab­sich­tig­ten Neu­re­ge­lung vor allem die Behand­lungs­si­tua­ti­on von poten­zi­el­len Organ­spen­dern und die Sicht von Ange­hö­ri­gen ster­ben­der Inten­siv­pa­ti­en­ten mit einer schwe­ren Hirn­schä­di­gung in ange­mes­se­ner Wei­se zu berück­sich­ti­gen. Auf ein Hau­ruck­ver­fah­ren soll­ten Sie verzichten. 

Wir muss­ten trau­ma­ti­sche Erfah­run­gen mit der Organ- und Gewe­be­ent­nah­me unse­rer Kin­der machen, die wir durch den Ablauf einer Explan­ta­ti­on im Ster­ben nicht beglei­ten durf­ten. Statt­des­sen wur­den wir gezwun­gen, uns auf eine unwür­di­ge Wei­se von ihnen zu ver­ab­schie­den, wäh­rend sie wei­ter­hin für die Organ­ent­nah­me inten­siv­me­di­zi­nisch behan­delt wur­den. Unse­re dama­li­ge Ent­schei­dung, eine Organ­spen­de zu erlau­ben, beruh­te auf unse­rer Unin­for­miert­heit, die uns im Nach­hin­ein dazu beweg­te, den Ver­ein „Kri­ti­sche Auf­klä­rung über Organ­trans­plan­ta­ti­on e.V.“ zu gründen. 

Der Gesetz­ent­wurf zur Ein­füh­rung der Wider­spruchs­lö­sung (DB Drs. 20/13804 vom 14.11.2024) ver­mit­telt lei­der eine Vor­stel­lung über die Organ- und Gewe­be­spen­de, die ent­schei­den­de Dimen­sio­nen der Organ- und Gewe­be­ge­win­nung außer Acht lässt und daher zu fahr­läs­si­gen Fehl­in­ter­pre­ta­tio­nen gelangt. 

Die zwi­schen 2019 und 2021 umfang­reich refor­mier­te Ent­schei­dungs­lö­sung (Erwei­ter­te Zustim­mungs­lö­sung) bezieht sich noch auf die im Bür­ger­li­chen Gesetz­buch (BGB) ver­an­ker­ten Pati­en­ten­rech­te: Behan­deln­de Ärz­tin­nen und Ärz­te sind grund­sätz­lich ver­pflich­tet, eine infor­mier­te Ein­wil­li­gung zu medi­zi­ni­schen Maß­nah­men ein­zu­ho­len. Sind Pati­en­ten nicht zustim­mungs­fä­hig und haben kei­ne Pati­en­ten­ver­fü­gung (§ 1827 Abs. 1 S. 1 BGB) erstellt, muss bei einer dazu berech­tig­ten Per­son das Ein­ver­ständ­nis ein­ge­holt werden. 

Dies gilt auch für die Organ­spen­de. Die Mög­lich­keit einer Organ­ent­nah­me wird auf der Inten­siv­sta­ti­on noch zu Leb­zei­ten der für eine Spen­de in Fra­ge kom­men­den Pati­en­ten ent­schie­den. Liegt eine Ein­wil­li­gungs­er­klä­rung dazu vor, dür­fen die­se Pati­en­ten bereits vor der (Hirn-)-Todesfeststellung mit der spe­zi­ell auf Organ­spen­der zuge­schnit­te­nen sog. ‚spen­der­kon­di­tio­nie­ren­den‘ bzw. „spen­de­zen­trier­ten The­ra­pie“ behan­delt werden. 

Stellt sich her­aus, dass der betref­fen­de Pati­ent eine Organ­spen­de ablehnt, kommt ihm eine pal­lia­tiv­me­di­zi­ni­sche Ster­be­be­glei­tung zugu­te. Das pal­lia­ti­ve Behand­lungs­kon­zept ver­zich­tet bereits in die­ser Pha­se auf sinn­los gewor­de­ne, lebens­er­hal­ten­de medi­zi­ni­sche Maß­nah­men. Es rich­tet den Fokus auf eine lei­dens­min­dern­de The­ra­pie und hat eine ärzt­li­che, spi­ri­tu­el­le sowie psy­cho­so­zia­le Betreu­ung des ster­ben­den Men­schen, aber auch sei­ner Ange­hö­ri­gen im Blick. 

Auf­grund der noch im leben­den Sta­tus von poten­zi­el­len Organ­spen­dern zu tref­fen­den End-of-Life-Decis­i­on muss­te 2021 das Trans­plan­ta­tions­ge­setz zur Stär­kung der Ent­schei­dungs­be­reit­schaft (2020) auf Drän­gen der DIVI wegen sei­ner Undurch­führ­bar­keit ver­än­dert wer­den. Also hat der Gesetz­ge­ber den Ein­blick des medi­zi­ni­schen Per­so­nals in das Online­re­gis­ter für Organ- und Gewe­be­spen­de VOR der Hirn­tod­fest­stel­lung gestat­tet (§ 2a Abs. 4 S. 2 Nr. 2 TPG-2021). Eben­so muss­te die Aus­kunfts­pflicht gegen­über den an der Trans­plan­ta­ti­on betei­lig­ten Ärz­ten bereits auf den fle­xi­blen, nicht bere­chen­ba­ren Zeit­raum des erwar­te­ten Hirn­to­des vor­ver­legt wer­den (§ 7 Abs. 3 S. 4 TPG-2021). Allein die­se bei­den Geset­zes­än­de­run­gen wider­le­gen die auf Organ­spen­de­aus­wei­sen sug­ge­rier­te Vor­stel­lung, der Organ­spen­de­pro­zess begin­ne erst „nach mei­nem Tod“. 

Daher unter­schei­det sich der letz­te Weg von Organ­spen­dern dras­tisch von dem Ster­ben eines pal­lia­tiv­me­di­zi­nisch und fami­li­är beglei­te­ten Menschen. 

Medi­zin­ethi­sche Rechts­nor­men und Rege­lun­gen des Bür­ger­li­chen Gesetzbuches

Soll­te der Bun­des­tag die Wider­spruchs­lö­sung beschlie­ßen wür­de der Gesetz­ge­ber für das Ziel ‚Erhö­hung der Spen­der­zah­len‘ eine Ent­rech­tung der Pati­en­ten und ihrer Ange­hö­ri­gen in Kauf neh­men. Ver­tre­ter die­ser Rege­lung igno­rie­ren die im BGB ver­an­ker­te Pati­en­ten­au­to­no­mie, die Grund­sät­ze medi­zi­ni­scher Ethik und die Rech­te von Ange­hö­ri­gen eines ster­ben­den und toten Menschen. 

Dazu zählen: 

  • die gesetz­li­che Rege­lung zur Auf­klä­rung und Ein­wil­li­gung bei medi­zi­ni­schen Ein­grif­fen (§ 630e Abs. 1 S. 1 u. S. 2 BGB) sowie zur ärzt­li­chen Infor­ma­ti­ons­pflicht, alter­na­ti­ve Behand­lungs­wei­sen auf­zu­zei­gen (§ 630e Abs. 1 S. 3 BGB). Die Alter­na­ti­ve zu einer spen­de­zen­trier­ten Inten­siv­the­ra­pie ist die pal­lia­tiv­me­di­zi­ni­sche Ster­be­be­glei­tung;
  • das Selbst­be­stim­mungs­recht von Pati­en­ten (Pati­en­ten­au­to­no­mie § 1827 BGB) hin­sicht­lich der Zustim­mungs­pflich­tig­keit der spen­de­zen­trier­ten Inten­siv­the­ra­pie und der anäs­the­sio­lo­gisch betreu­ten Organ­ent­nah­men aus dem leben­di­gen Kör­per einer als tot defi­nier­ten Per­son (Ver­ab­rei­chung von Medi­ka­men­ten zur Unter­drü­ckung von Bewe­gun­gen [Mus­kel­re­la­xan­zi­en] und Schmerz­mit­tel [Opio­ide] oder Durch­füh­rung einer Narkose); 
  • das über den Tod hin­aus­rei­chen­de Per­sön­lich­keits­recht und der Schutz der Toten­ru­he (Stö­rung der Toten­ru­he: § 168 StGB) – die Zustim­mungs­pflich­tig­keit der Ent­nah­me von Gewe­be nach dem Herz­tod (z.B. Gelen­ke, Menis­kus, Seh­nen, Blutgefäße); 
  • das auf dem Grund­ge­setz sich stüt­zen­de Toten­für­sor­ge­recht der nächs­ten Ange­hö­ri­gen und deren Recht auf Wah­rung der Pie­tät (Zer­le­gung des Kör­pers in ein­zel­ne Orga­ne und Gewe­be­tei­le wie z.B. Kno­chen [Becken­kamm, Röh­ren­kno­chen, gan­ze Gelen­ke], Haut, Bän­der, Mus­keln, Rip­pen­knor­pel, Blut­ge­fä­ße [Arte­ri­en, Venen], Weich­teil­ge­we­be [Seh­nen, Bin­de­ge­we­be], Augen­horn­häute, Herz­klap­pen);
  • das ärzt­li­che Gen­fer Gelöb­nis, jede medi­zi­ni­sche Hand­lung aus­schließ­lich an dem Wohl­erge­hen des behan­del­ten Pati­en­ten zu orientieren.

Das ärzt­li­che Gen­fer Gelöbnis

Ver­tre­ter der Wider­spruchs­lö­sung zie­len dar­auf ab, Organ- und Gewe­be­ent­nah­men zum „Nor­mal­fall“ (S. 14) machen zu wol­len. Wir möch­ten zu beden­ken geben: Ärzt­li­ches Han­deln ist nach den Erfah­run­gen mit den medi­zi­ni­schen Ver­bre­chen im Natio­nal­so­zia­lis­mus grund­sätz­lich dem Gen­fer Gelöb­nis (1948) ver­pflich­tet. Eine Ein­füh­rung der Wider­spruchs­re­ge­lung wür­de das Gen­fer Gelöb­nis ohne indi­vi­du­el­le Zustim­mung der betref­fen­den Pati­en­ten untergraben. 

Auto­no­mie der Inten­siv­me­di­zin gegen­über der Transplantationsmedizin 

Die Ver­pflich­tung auf die ärzt­li­che Schutz­funk­ti­on zum Woh­le des behan­del­ten Pati­en­ten erklärt auch die als zu gering kri­ti­sier­te Koope­ra­ti­on von Inten­siv­ärz­ten mit der Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin. Denn nur sie sind es, die ihre Pati­en­ten als poten­zi­el­le Spen­der ‚ent­de­cken‘ und der Deut­schen Gesell­schaft für Organ­trans­plan­ta­ti­on (DSO) mel­den kön­nen. Seit Jahr­zehn­ten wird das von der Inten­siv­me­di­zin erzeug­te sog. Spen­der­mel­de­de­fi­zit als eine Ursa­che des ‚Organ­man­gels‘ moniert: Z.B. erstat­te­ten 2016 mehr als die Hälf­te (56 Pro­zent) der Inten­siv­sta­tio­nen von sog. Ent­nah­me­kran­ken­häu­sern kei­ne Spen­der­mel­dun­gen an die DSO (S. 27). Um die­se Situa­ti­on zu ändern, wur­de 2019 das Gesetz zur Ver­bes­se­rung der Zusam­men­ar­beit und der Struk­tu­ren bei der Organ­spen­de ver­ab­schie­det und ein stren­ge­res Kon­troll­sys­tem zur sog. Spen­der­de­tek­ti­on eta­bliert. Doch die Kla­ge über das Mel­de­de­fi­zit ver­hall­te auch bis 2022 nicht. So kom­men­tier­te der Prä­si­dent der Bun­des­ärz­te­kam­mer Klaus Rein­hardt die dürf­ti­ge Bereit­schaft zu Spen­der­mel­dun­gen sei­tens der Inten­siv­me­di­zin: „Die feh­len­de Betei­li­gung von weit über 70 Pro­zent der Kran­ken­häu­ser erscheint bedenk­lich“. (S. VII)

Soll­te die Wider­spruchs­lö­sung imple­men­tiert wer­den, wäre die ärzt­li­che Ver­ant­wor­tung der Inten­siv­me­di­zin für ihre am Lebens­en­de sich befin­den­den Pati­en­ten und die in der bis­he­ri­gen Trans­plan­ta­ti­ons­ge­setz­ge­bung zuge­si­cher­te Auto­no­mie der Inten­siv­sta­tio­nen gegen­über der Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin nicht mehr gewährleistet. 

Unter­schei­dung zwi­schen einer spen­de­zen­trier­ten Inten­siv­the­ra­pie und einer pati­en­ten­zen­trier­ten Sterbebegleitung

Die im Gesetz­ent­wurf genann­te, ver­meint­lich hohe Organ­spen­de­be­reit­schaft in der deut­schen Bevöl­ke­rung (etwa 84 Pro­zent) dient als Schlüs­sel­ar­gu­ment für die Ein­füh­rung der Wider­spruchs­lö­sung. Doch wie das Ergeb­nis der Stu­die von Eli­as Wag­ner, Georg Marck­mann und Ralf J. Jox zeigt, beruht die posi­ti­ve gesell­schaft­li­che Ein­stel­lung zur Organ­spen­de auf gro­ßen Infor­ma­ti­ons­lü­cken: Die Hälf­te der Befrag­ten ist nicht ein­mal mit dem Kon­zept des Hirn­to­des ver­traut. Ledig­lich 22 Pro­zent wis­sen, dass Organ­ent­nah­men nur im Rah­men einer Inten­siv­the­ra­pie rea­li­sier­bar sind. Auch lehnt die gro­ße Mehr­heit der Stu­di­en­teil­neh­mer die Reani­ma­ti­on eines im Ster­ben begrif­fe­nen Men­schen ab. Die­se Ein­stel­lung wider­spricht zutiefst der ver­meint­lich über­wie­gend vor­han­de­nen Organ­spen­de­be­reit­schaft. Schließ­lich kann das spen­der­kon­di­tio­nie­ren­de Behand­lungs­kon­zept hoch­gra­dig inva­si­ve Ein­grif­fe umfas­sen (z.B. Herz-Lun­gen-Wie­der­be­le­bung, Ope­ra­tio­nen, Aus­tausch von min­des­tens einem Blutvolumen). 

Mar­gi­na­le Spen­der­or­ga­ne‘ für ‚Mar­gi­na­le Organempfänger‘

Wie uner­bitt­lich das Trans­plan­ta­ti­ons­sys­tem auf eine Stei­ge­rung von Spen­der­zah­len erpicht ist, wur­de in der Coro­na-Pan­de­mie offen­bar. So scheu­te die inter­na­tio­na­le Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin nicht davor zurück, auf Inten­siv­sta­tio­nen auch nach poten­zi­el­len ‚Organ­spen­dern‘ unter Coro­na­kran­ken Aus­schau zu hal­ten. Die­se Ver­pflan­zungs­pra­xis ist ein­ge­bun­den in das von Euro­trans­plant ent­wi­ckel­te Kon­zept der Organ­be­schaf­fung: das „Old-for-Old Pro­gram“. Für die im Rah­men des Senio­ren­pro­gramms gewon­ne­nen oder für vor­ge­schä­dig­te sog. ‚mar­gi­na­le Orga­ne‘ (z.B. Fett­le­bern, Rau­cher­lun­gen, Orga­ne mit Kon­ser­vie­rungs­schä­den) gel­ten die sog. erwei­ter­ten Spen­der­kri­te­ri­en (‚exten­ded cri­te­ria donor‘). Mit­un­ter wer­den sie als „ein­ge­schränkt ver­mit­tel­ba­re Orga­ne“ (S. 24) über eine sog. modi­fi­zier­te War­te­lis­te oder ein „beschleu­nig­tes Ver­mitt­lungs­ver­fah­ren“ (S. 25) ver­teilt. Seit­dem die Alters­gren­ze für Organ­spen­der auf­ge­ge­ben wur­de, steigt die Zahl von hoch­be­tag­ten Spen­dern kon­ti­nu­ier­lich an. In Deutsch­land sind etwa ein Drit­tel aller Organ­spen­der älter als 65 Jah­re. 2023 lag das Höchst­al­ter von Lun­gen­spen­dern bei 87, das von Leber­spen­dern bei 89 Jah­ren (S. 65).

Vor die­sem Hin­ter­grund wird plau­si­bel, war­um im Gesetz­ent­wurf des Bun­des­ra­tes vom 21.08.2024 unter dem Titel „demo­gra­fi­scher Wan­del“ ein für die Zukunft sich abzeich­nen­der noch höhe­rer Bedarf an Organ­res­sour­cen spe­zi­ell für die älte­re Gene­ra­ti­on ins Feld geführt wird (S. 16 f.). Ohne zu pro­ble­ma­ti­sie­ren, was es für älte­re Men­schen bedeu­tet, die mit schwe­ren Neben­wir­kun­gen (z.B. Krebs) ver­bun­de­ne Trans­plan­ta­ti­on bewäl­ti­gen zu müs­sen, ver­tre­ten die Autoren eine abstru­se Methu­sa­lem-Visi­on. Der Ver­dacht liegt nahe, dass es ange­sichts der gerin­ge­ren Lebens­er­war­tung nach einer Mar­gi­nal­ver­pflan­zung oder Trans­plan­ta­ti­on im höhe­ren Alter auch um eine gestei­ger­te Zahl von Fall­pau­scha­len für trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zi­ni­sche Leis­tun­gen geht. 

Der welt­weit beklag­te Organ­man­gel – Stra­te­gien zur Ver­grö­ße­rung des Spenderpools 

Die von der Ver­pflan­zungs­me­di­zin inter­na­tio­nal beklag­te ‚Organ­knapp­heit‘ scheint ein nicht auf­lös­ba­res, struk­tu­rel­les Pro­blem des Trans­plan­ta­ti­ons­sys­tems ins­ge­samt zu sein. 

Schließ­lich liegt der Anteil poten­zi­el­ler Organ­spen­der mit einem irrever­si­blen Hirn­ver­sa­gen unter den Ver­stor­be­nen nur bei etwa 0,3 Pro­zent. Aber ange­sichts der zuneh­men­den pal­lia­tiv­me­di­zi­ni­schen Ver­sor­gung auch auf Inten­siv­sta­tio­nen, „droht“ – wie gera­de der Inter­nist und Medi­zin­ethi­ker Prof. Dr. Ste­phan Sahm in der FAZ (28. 11.2024) ver­deut­lich­te – „der Hirn­tod aus­zu­ster­ben“. Denn ein welt­weit herr­schen­der ‚Organ­man­gel‘ liegt in der Natur der Sache. Auf­grund der Dis­kre­panz zwi­schen Spen­der­be­darf und ver­füg­ba­ren ‚Organ­res­sour­cen‘ wur­den Stra­te­gien zur Ver­grö­ße­rung des ‚Spen­der­pools‘ ent­wi­ckelt. Dazu zählt neben der Ver­wen­dung ‚mar­gi­na­ler Orga­ne‘ auch die defi­ni­ti­ve Über­schrei­tung des Tötungs­ta­bus durch die Ein­füh­rung einer Spen­der­ka­te­go­rie, für die das ursprüng­li­che Hirn­tod­kri­te­ri­um nicht mehr gilt (z.B. in Spa­ni­en, Bel­gi­en, Öster­reich, den Nie­der­lan­den): Die sog. Non Heart Bea­ting Donors (NHBD: Spen­der ohne schla­gen­de Her­zen; aktu­el­ler Begriff: Dona­ti­on after cir­cu­la­to­ry death: DCD). 

Die­se Form der Organ­ge­win­nung wur­de in Deutsch­land von der Zen­tra­len Ethik­kom­mis­si­on als Tötung ethisch ver­wor­fen und auch vom Deut­schen Ethik­rat mehr­heit­lich abge­lehnt. Hin­ge­gen plä­dier­ten im Zuge des inter­na­tio­na­len Dis­kur­ses um die­se Spen­der­ka­te­go­rie die renom­mier­ten Bio­ethi­ker Robert D. Truog von der Har­vard Uni­ver­si­ty und Frank­lin G. Mil­ler für eine grund­sätz­li­che Abschaf­fung der ‚Tote-Spen­der-Regel‘. Daher spre­chen sie auch hin­sicht­lich der ver­eng­ten Hirn­tod­ver­ein­ba­rung unver­blümt von einem „jus­ti­fied kil­ling“ (S. 42), um den welt­weit herr­schen­den ‚Organ­man­gel‘ zu mindern. 

In den Euro­trans­plant-Ver­bund­län­dern Bel­gi­en und Nie­der­lan­den, wo auch die Eutha­na­sie mit einer DCD-Organ­ent­nah­me ver­knüpft wer­den darf, ist mitt­ler­wei­le der Anteil der Spen­der nach Herz-Kreis­lauf­still­stand min­des­tens genau­so groß wie der von Organ­spen­dern nach irrever­si­blem Hirn­ver­sa­gen (vgl. z.B. Euro­trans­plant: Tabel­len: 2.4.1. ff.). Weil die Organ­spen­der­zahl durch die DCD-Organ­ge­win­nung ver­dop­pelt wer­den könn­te, befür­wor­tet auch die SPD Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Mar­ti­na Stamm-Fibich die Ein­füh­rung die­ser Metho­de in Deutsch­land (vgl. Tages­spie­gel Back­ground v. 15.07.2024) – also nicht nur die FDP. Soll­te der Gesetz­ent­wurf eine Mehr­heit fin­den, könn­te damit gleich­sam ohne öffent­li­che Dis­kus­si­on der Weg für eine Lega­li­sie­rung der Organ­ent­nah­me nach Herz­still­stand frei gemacht wer­den, wie z.B. in Öster­reich, Frank­reich oder der Schweiz geschehen.

Wider­spruchs­lö­sung: Der Begriff „Spen­de“ wäre hinfällig

Die Wider­spruchs­lö­sung wür­de die Begriff­lich­keit „Organ- und Gewe­be­spen­de“ hin­fäl­lig machen. Wie einst in auto­ri­tä­ren Regi­men der Ost­block­staa­ten und der DDR, beruht die­se Rege­lung auf einer staat­lich dekre­tier­ten Ver­ge­sell­schaf­tung des Kör­pers ster­ben­der Pati­en­ten zum Zweck sei­ner the­ra­peu­ti­schen Verwertung. 

Mit freund­li­chen Grüßen

Rena­te Greinert

1. Vor­sit­zen­de

Kri­ti­sche Auf­k­la­rung über
Organ­trans­plan­ta­ti­on e.V.