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Februar 2025 – Symposium in Washington: Es fehlen Daten, um das „Hirntodkonzept“ rechtfertigen zu können

Renate Greinert berichtet von der zweitägigen Tagung “Integrität beim Konzept und der Feststellung des Hirntods: Aktuelle Herausforderungen in Medizin, Recht und Kultur” an der sie für KAO in Washington vom am 27. und 28. Februar teilgenommen hat.

Symposium Brain Death in Washington in Frebruary 2025
Bild: https://braindeathintegritysymposium.com/

Das amerikanische Nationale Katholische Bioethikcenter (NCBC) hat im Februar ein Symposium zum Thema „Hirntod“ (Integrity in the Concept and Determination of Brain Death: Recent Challenges in Medicin, Law and Culture)[1] an der Catholic University of America in Washington DC veranstaltet. Mit beteiligt waren das Center for Law and the Human Person sowie das Pellegrino Center for Clinical Bioethics am Georgetown University Medical Center. Anlass waren Differenzen über das Verständnis des Hirntods unter katholischen Experten, die sich in den letzten Jahren entwickelt hatten. Diese betreffen insbesondere die Richtlinie der American Academy of Neurology (AAN)[2], die es ausdrücklich ermöglicht, dass bei teilweise noch vorhandener Hirnfunktion der „Hirntod“ erklärt werden kann. An dem Symposium nahmen Ärzte, Philosophen, Krankenschwestern, Geistliche und Rechtsanwälte teil. In einem wichtigen Punkt waren sie sich einig: Es fehlen Daten, um das „Hirntodkonzept“ rechtfertigen zu können.

Der Verlauf des Symposiums machte deutlich, dass die Experten aus dem Raum der katholischen Kirche über die Bedeutung des „Hirntodes“ unterschiedlicher Ansicht sind. Sie kamen zusammen, um ihre Standpunkte zu vertreten, aber auch, weil sie von vielen Entwicklungen beunruhigt sind. Zunächst näherten sich zwei Ärzte aus mehr philosophischer Perspektive dem Thema. Dr. Daniel Sulmasy war der Auffassung, dass das Gehirn notwendig sei, um einen integrierten Organismus aufrechterhalten zu können. Der Hirntod gleiche einer inneren Enthauptung. Er halte das „Hirntodkonzept“ für valide. Demgegenüber vertrat Dr. Michael Accad den Standpunkt, dass der Mensch sein Leben als eine Einheit von Körper und Seele beginne und diese für die gesamte Zeit des Lebens bestehe. Nicht das Gehirn, sondern die Seele sei der Integrator des Organismus. Wenn die Seele des Menschen verloren gehe, werde der Leichnam nicht mehr als Einheit bezeichnet, sondern als „sterbliche Überreste“ („the remains“). Hierdurch komme zum Ausdruck, dass nicht mehr das Ganze, sondern nur noch die Teile existierten. Bei einem „hirntoten“ Patienten sei aber die Integration noch vorhanden, so dass auch weiterhin vom Wirken der Seele ausgegangen werden müsse.

Heidi Klessig, eine Anästhesistin im Ruhestand, belegte an vielen Beispielen, dass es keine Tests, Studien oder Beweise für das Hirntodkonzept gebe und drückte damit das Unbehagen vieler Zuhörer aus. Sie berichtete über den Fall einer jungen Afro-Amerikanerin, Jahi McMath, der in Amerika für großes Aufsehen erregte und bereits bei der Harvard Bioethik Konferenz 2018 – “Den Tod definieren” für Diskusionen sorgte. Auch damals war KAO dabei. Dieses Mädchen war von drei Hirntodexperten als eindeutig „hirntot“ diagnostiziert worden, hat aber im Laufe der Folgejahre mit dem „Hirntod“ unvereinbare Lebenszeichen entwickelt. Sie konnte auf Ansprache des Pflegepersonals ihre Füße bewegen und ihre Finger. Außerdem ist sie in die Pubertät gekommen, was ein Zeichen dafür sei, dass ein Teil des Gehirns, der Hypothalamus, noch funktionsfähig gewesen ist (Lesen Sie Jahis Geschichte in dem von KAO übersetzten Artikel von Rachel Aviv im New Yorker: “Was bedeutet es zu sterben?”[3]). Diese Fakten waren einigen Zuhörern nicht bewusst und eine junge Frau erklärte daraufhin ganz offen, sie ändere ihre Meinung laufend, je nachdem ob nun ein Kritiker oder ein Befürworter des Hirntodkriteriums spreche.

Zwei Krankenschwestern beschrieben die Situation, in der sie sich befinden. Sie stehen zwischen dem Patienten und den Ärzten, aber gleichzeitig auch zwischen dem Patienten und den Angehörigen. Sie seien für alle das Verbindungsglied. Der Konflikt entstehe dann für sie, wenn der Patient als hirntot diagnostiziert ist und sie nun einen „Toten“ pflegen sollen, obwohl sich nichts an ihm geändert hat. Es habe sich nur „das Therapieziel“ geändert. Jetzt gehe es um Organerhalt und Organversorgung. Viele Krankenschwestern hielten die emotionalen und intellektuellen Herausforderungen auf der Intensivstation nicht aus und zögen sich aus diesem Arbeitsfeld zurück.

Auf dem Symposium wurde auch angesprochen, dass es gemäß der AAN-Richtlinie nicht notwendig ist, vor der Hirntoddiagnostik eine Einwilligung der Angehörigen oder Betreuer einzuholen. Das gelte auch für den „Apnoe-Test“ (Prüfung der Fähigkeit zur Spontanatmung), der dem Patienten nicht nützt, sondern ihm vielmehr schaden kann: er kann Hypoxämie und hämodynamische Veränderungen bis hin zum Herzstillstand verursachen, so dass eine Herz-Lungen-Wiederbelebung notwendig wird. Der Arzt Dr. Allen Roberts forderte, dass der Test nur mit dem Einverständnis eines Berechtigten zulässig sein sollte.

Verschiedene Ärztinnen und Ärzte waren sich uneinig über die Verlässlichkeit der AAN-Richtlinien, weil diese selbst bei fortbestehenden Hirnfunktionen die Feststellung des „Hirntodes“ erlauben. Dr. Allen Aksamit sprach sich für die Weiterverwendung der AAN-Richtlinien aus, während Dr. Christopher DeCock darauf hinwies, dass 50 bis 80 Prozent der Patienten, die für hirntot erklärt werden, noch einen funktionierenden Hypothalamus hätten. Er forderte, dass niemand mit einem funktionierenden Hypothalamus für tot erklärt werden dürfe, und dass es auch keine Lösung sei, den Hypothalamus ausdrücklich von den Hirntoduntersuchungen auszuschließen. Die AAN-Richtlinie müsse striktere Vorgaben machen und die Prüfung des Hypothalamus einschließen.

Dr. Charles Camosy sprach sich vehement dafür aus, dass die Gewissensbisse der Ärzte bei der Anwendung der AAN-Richtlinie sehr ernst genommen werden müssten. Bei einer Umfrage unter den Symposiumsteilnehmern stimmten nur 25 Prozent der AAN-Richtlinie zu. Dr. Jason Eberl forderte, dass das Gewissen als grundlegendes Menschenrecht beachtet werden müsse. Er war sich aber nicht sicher, wo die Grenze gezogen werden müsse, ab der man einer verbesserten Richtlinie zustimmen könne.

Der Jurist James Bopp stellte verschieden Positionen zur Änderung des Uniform Determination of Death Act vor. Eine sehe vor, dass es für die Todesfeststellung primär auf die verbleibende Lebensqualität ankommen solle. Er zeigte sich erleichtert, dass eine Reform des Gesetzes vorläufig an der Uneinigkeit des Prüfungsausschusses gescheitert sei.

Zusammenfassend waren sich die Konferenzteilnehmer in einem wichtigen Punkt einig. Es fehlen Daten, um das Hirntodkonzept rechtfertigen zu können. Seit fast 60 Jahren werden Menschen für tot erklärt und man benutzt sie als Organspender, ohne dass es qualitativ hochwertige Beweise gibt, die diese Praxis rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund forderten einige Redner und Teilnehmer zum Abschluss, dass es ein Moratorium für die Diagnose des Hirntods geben solle. Andere sprachen sich dafür aus, als „hirntot“ diagnostizierte Menschen weiterhin als Organspender zu verwenden. Es solle jedoch die Qualität der Untersuchungen verbessert werden.

Dr. John Brehany, Executive Vice President und Director of Institutional Relations des NCBC, bezeichnete es in seinem Schlusswort als segensreich, dass so viel Menschen zusammengekommen seien, um zu lernen, nachzudenken und darüber zu sprechen, wie man auf die herausfordernden Fragen reagieren könne, die sich aus dem Scheitern der klinischen und rechtlichen Standards für die Feststellung des Todes nach neurologischen Kriterien ergeben.

Literatur

  1. https://braindeathintegritysymposium.com
  2. https://www.aan.com/Guidelines/Home/GuidelineDetail/1085
  3. Rachel Aviv, https://www.newyorker.com/magazine/2018/02/05/what-does-it-mean-to-die, The New Yorker, 18.02.2018

Auch Rainer Beckmann berichtet von dieser Tagung in seinem aktuellen Artikel “Das „Hirntod“-Konzept auf dem Prüfstand” in der katholischen Wochenzeitung “Die Tagespost”. Er stellt darin auch den Bezug zu den Regelungen in Deutschland her:

Genau an diesem Punkt sind auch die aktuellen Richtlinien der Bundesärztekammer aus dem Jahr 2022 nicht nachvollziehbar. Sie stellen Patienten mit „Hirntod“-Syndrom auf eine Stufe mit Leichen, an denen sich Leichenflecke zeigen oder die Leichenstarre eingesetzt hat. Während diese Zustände glaubwürdig belegen, dass sich der Organismus in Auflösung befindet, ist bei intensivmedizinisch behandelten Patienten mit „Hirntod“-Syndrom nichts Vergleichbares festzustellen: sie sind durchblutet, verarbeiten Sauerstoff und Nahrung, sie zeigen Bewegungsreaktionen, scheiden Abfallstoffe aus, ihre Wunden heilen und „hirntote“ Schwangere sind in der Lage, Kinder zu gebären. Trotz dieser offensichtlichen Lebenszeichen behauptet die Bundesärztekammer, dass mit dem „irreversiblen Hirnfunktionsausfall“ der Tod des Menschen „naturwissenschaftlich-medizinisch“ bewiesen sei. Diese These wird in ihrer Richtlinie zur „Hirntod“-Diagnostik allerdings mit keinem Wort begründet. Sie verstößt somit gegen § 16 Abs. 2 Satz 2 des Transplantationsgesetzes, in dem ausdrücklich verlangt wird, dass die Richtlinien nachvollziehbar zu begründen sind.

Im Rahmen der Feststellung des „Hirntodes“ wird eine Untersuchung durchgeführt, die für die Betroffenen mit Risiken verbunden ist. Deshalb befasste sich die Tagung in Washington auch mit dem Thema „Aufklärung vor der ‚Hirntod‘-Diagnostik“. Bei der Prüfung, ob der Patient noch zur Spontanatmung fähig ist („Apnoe-Test“), wird er zeitweise vom Beatmungsgerät abgekoppelt. Hierbei kann es zu Komplikationen und Nebenwirkungen bis hin zum Herzstillstand kommen. Diese Risiken werden „hirntodverdächtigen“ Patienten zugemutet, obwohl dieser Test für sie selbst keinerlei Nutzen hat. Nach allgemeinen medizinrechtlichen Grundsätzen könnte diese diagnostische Maßnahme nur dann gerechtfertigt werden, wenn der Patient oder sein rechtlicher Vertreter eingewilligt hat. Tatsächlich werden die Betroffenen aber vor der „Hirntod“-Diagnostik nicht über deren Risiken aufgeklärt. Auch in den „Aufklärungsmaterialien“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (die kürzlich in „Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit“ umbenannt wurde) werden die Risiken des „Apnoe-Tests“ verschwiegen.