Frau
Dr. Kirsten Kappert-Gonther
Stellvertretende Vorsitzende
des Gesundheitsausschusses
Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin Hannover, den 17.01.2025
Initiativstellungnahme zur öffentlichen Anhörung „Änderung des Transplantationsgesetzes“
Sehr geehrte Frau Dr. Kappert-Gonther,
als Vorsitzende des Vereins Kritische Aufklärung über Organtransplantation bitten wir um Berücksichtigung unserer Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung „Änderung des Transplantationsgesetzes“.
Angesichts der medizinethischen und rechtlichen Tragweite der geplanten Gesetzesreform ist aus Sicht des Vereins Kritische Aufklärung über Organtransplantation die juristische Prüfung der hochkomplexen Rechtssituation von potenziellen Organspendern unter Bedingungen der Widerspruchslösung dringend geboten. Denn die Rechtslage der als Spender in Frage kommenden Intensivpatienten bildet bereits heute eine Grauzone zwischen dem im BGB verankerten Betreuungsrecht und der Transplantationsgesetzgebung [1, 16].
Schon jetzt beginnt die fremdnützige Behandlung von potenziellen Spendern – die sog. Spenderkonditionierung – auf der Intensivstation „bereits mit der Diagnose einer schweren Hirnschädigung“ [2, 28], also vor Eintritt des irreversiblen Hirnversagens (sog. Hirntod), wie in den Fortbildungsempfehlungen für die Intensivtherapie bei Organspendern erklärt. Die Rechtslücke zwischen Betreuungs- und Transplantationsrecht wird in der Fachdiskussion [3, 1, 6, 8, 16] immer wieder problematisiert. Auch der Deutsche Ethikrat hat 2015 in seiner Stellungnahme „Hirntod und Entscheidung zur Organspende“ darauf hingewiesen [4]. Doch bisher hat der Gesetzgeber diese Kritik nicht aufgegriffen.
Ohne Einwilligung der Patienten: Die fremdnützige, lebensverlängernde spendezentrierte Intensivtherapie beginnt zu Lebzeiten und fällt in das Betreuungsrecht (BGB)
Der Gesetzentwurf (GE) vom 14.11.2024 sieht vor, die Behandlungssituation aller Intensivpatienten mit einer schweren Hirnschädigung rechtlich neu zu regeln [5]. Aber auf den beabsichtigten, massiven Eingriff in die Grundrechte von hirngeschädigten Intensivpatienten wird mit keinem Wort eingegangen. Diese Patientengruppe dürfte künftig schon zu Lebzeiten ohne Einwilligung der speziell für Organspender entwickelten Behandlung – der fremdnützigen, lebensverlängernden, sog. spendezentrierten Intensivtherapie [2, 8, 6, 10] – unterzogen werden. Eine solche Neuregelung würde gegen das Patientenverfügungsgesetz (§ 1827 BGB) und das Grundgesetz verstoßen. Denn die betreffenden Patienten befinden sich in dieser Phase als Sterbende im Rechtsstatus von lebenden Menschen. Unabhängig von ihren besonderen Eigenschaften genießen sie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz) [7].
Ebenso wäre es gestattet, ohne Einverständnis der betreffenden Patienten, unter Bedingungen der Spenderkonditionierung, das „Therapieziel Hirntod“ [8] anzustreben. Hervorzuheben ist: Die Hirntoddiagnostik ist ausschließlich bei potenziellen Organspendern durchzuführen, denn sie bildet die Voraussetzung für die Organentnahme. Und auch nach Feststellung des irreversiblen Hirnversagens dürfte ohne Zustimmung der Patienten sowie gegen das Totenfürsorgerecht ihrer Angehörigen die spendezentrierte Intensivbehandlung weitergeführt werden, bis Organspender im Zuge der körperzergliedernden (Multi-)Organentnahmen den Herztod erleiden.
Der überwiegende Teil aller Verstorbenen könnte ohne individuelle Zustimmung von kommerzialisierbaren Gewebeentnahmen betroffen sein
Hinsichtlich der Gewebeentnahme wären im Falle der Widerspruchslösung auch Menschen betroffen, die einen Herztod erleiden. Denn Gewebe ist bis zu 72 Stunden nach dem Tod explantierbar und nicht an ein irreversibles Hirnversagen gebunden. Wiederum ohne individuelle Einwilligung und ohne Rücksicht auf die Angehörigen dürfte Gewebe entnommen werden – z.B. Knochen (Beckenkamm, Röhrenknochen, ganze Gelenke), Haut, Bänder, Muskeln, Rippenknorpel, Blutgefäße (Arterien, Venen), Weichteilgewebe (Sehnen, Bindegewebe), Augenhornhäute, Herzklappen. Zu berücksichtigen ist, dass die mit einem industriellen Verfahren verarbeitete Gewebespende dem Arzneimittelgesetz (§ 4 Abs. 30 AMG) unterliegt und kommerzialisierbar ist (§§ 21, 21a AMG) [9].
„Justified Killing“ – International umstrittene Todesdefinitionen
Im Rahmen der sog. Spender-Präkonditionierung gegen potenzielle Schädigungen der zu gewinnenden Organe ist zu ihrer optimalen Durchblutung eine ständige medizinische Unterdrückung des Sterbeprozesses notwendig (z.B. Hormonersatztherapie, Dopamingaben, fortgesetzte Ernährung, Medikamente gegen den Abfall der Stoffwechselleistungen und einer Herzinsuffizienz) [10]. Im Falle eines Herzversagens ist eine Reanimation üblich [11, 2, 10, 22], um den sog. Organspendeprozess weiterführen zu können. Denn aus dem Körperinneren von Leichen entnommene Organe sind nicht verpflanzbar, sondern nur blutdurchströmte Organe aus einem lebenden Körper mit schlagendem Herzen, also nur unter der Voraussetzung ihrer lebensnotwendigen Versorgung mit Blut, Sauerstoff sowie weiteren Nährstoffen.
Entsprechend bezieht sich die 1968 eigens für die Transplantationsmedizin entwickelte Todesdefinition („brain death“) ganz allein auf das Versagen eines einzigen Organs: des Gehirns. Daher spricht die Transplantationsmedizin von einer „toten Person“ mit einem „noch überlebenden Körper“ [12]. Diese reduzierte, doppeldeutige Vorstellung über Sterben und Tod ist seit 1968 bis heute international umstritten.
Aber selbst in der Transplantationsmedizin wurde das Hirntodkriterium als Voraussetzung für Organexplantationen nicht aufrechterhalten und die Spenderkategorie nach Herzstillstand eingeführt: Die sog. Non Heart Beating Donors (NHBD: Spender ohne schlagende Herzen; aktueller Begriff: Donation after circulatory death: DCD). Doch diese Form der Organgewinnung wurde in Deutschland von der Zentralen Ethikkommission als Tötung ethisch verworfen [13], ebenso vom Deutschen Ethikrat mehrheitlich abgelehnt [4]. Denn Menschen sind nach einem Herzstillstand reanimierbar.
Vor diesem Hintergrund plädieren die Bioethiker Robert D. Truog von der Harvard University und Franklin G. Miller dafür, die ‚Tote-Spender-Regel‘ gänzlich aufzugeben und kommen zu dem Schluss: „the ‚brain dead‘ are not really dead“ –„Hirntote sind nicht wirklich tot“ [14]. Truog und Miller kennzeichnen Organentnahmen nach irreversiblem Hirnversagen wie nach Herzstillstand als „justified killing“ [14], – als „gerechtfertigtes Töten“, um den weltweit herrschenden ‚Organmangel‘ beheben zu können. Entsprechend liegt der in verschiedenen Ländern (z.B. Spanien, Belgien, Großbritannien) durchgesetzten Legalisierung der NHBD-Organgewinnung ein einziges Motiv zugrunde: die Vergrößerung des sog. Spenderpools.
Insofern ist die Rhetorik von der Organspende „nach meinem Tod“ irreführend. Umso mehr bedarf die für transplantationsmedizinische Zwecke zugrundliegende Todesvorstellung einer für Laien allgemeinverständlichen Aufklärung, ebenso über die z.B. von Mitgliedern des Deutschen Ethikrates kritisierte Gleichsetzung des irreversiblen Hirnversagens mit dem Tod des Menschen [4, 15, 16].
Allgemeine Wissensdefizite – Die Alternative zu einer Multiorganentnahme unter Bedingungen der intensivmedizinischen Spenderkonditionierung ist die ärztliche Sterbebegleitung in Kooperation mit den Angehörigen
Wie in der Werbung für ‚Organspende‘ üblich, werden auch in den Gesetzentwürfen Informationen über die für Explantationszwecke notwendigen intensivmedizinischen Maßnahmen zur Manipulation des Sterbeprozesses nicht problematisiert. Auch bleiben sie einer breiten Öffentlichkeit verschlossen [15, 16, 17]. Eine umfassende Aufklärung über die kulturellen, sozialen und medizinischen Dimensionen einer Organ- und Gewebeentnahme ist unerlässlich [17]. Doch zu keinem Zeitpunkt wurde in der bisherigen Diskussion thematisiert, dass
- eine Organspende nur unter dem Verzicht auf eine ärztliche und familiäre Sterbebegleitung möglich ist, obwohl die informierte ärztliche Aufklärung dazu verpflichtet, alternative Behandlungsweisen aufzuzeigen (§ 630e Abs. 1 S. 3 BGB). Die Alternative zu einer Organspende ist die „Therapiebegrenzung mit Symptomlinderung und Sterbebegleitung im Sinne eines palliativen Behandlungskonzeptes“ [2, 1, 3, 6, 8, 18, 19, 20], wie in den Fortbildungsempfehlungen für die Intensivtherapie bei potenziellen Spendern erklärt;
- ein gravierender Unterschied besteht zwischen dem irreversiblen Hirnversagen unter Bedingungen der weitergeführten Intensivtherapie und dem Herztod (Atem- und Herzstillstand, Totenstarre, Totenflecke, Verwesung). Entsprechend werden die von diversen, externen Chirurgenteams vorzunehmenden Organentnahmen anästhesiologisch betreut. Bis der Herztod auf dem OP-Tisch eintritt und der Spender zu einer Leiche wird, verabreichen Anästhesisten Medikamente zur Unterdrückung von Bewegungen (Muskelrelaxanzien) und Schmerzmittel (Opioide), oder sie führen eine Narkose durch [21, 22].
Die Widerspruchslösung untergräbt die ärztliche Verantwortung der Intensivmedizin für ihre am Lebensende behandelten Patienten
Befürworter der Widerspruchslösung missachten das Genfer Gelöbnis, das nach den Medizinverbrechen im Nationalsozialismus ärztliches Handeln darauf verpflichtet hat, bei jeder medizinischen Maßnahme das Wohl des behandelten Patienten zum obersten Anliegen zu machen [23]. Diese ethische Maxime erklärt auch die seit Jahrzehnten beobachtete Zurückhaltung in der Intensivmedizin, die eigenen Patienten als potenzielle Spender wahrzunehmen und die fremdnützige Spenderkonditionierung als ihre Aufgabe zu betrachten [24, 25, 26]. Um eine Verhaltensänderung des Intensivpersonals zu bewirken, wurde gegen die geringe Beteiligung der Intensivmedizin an der Spenderrekrutierung 2019 das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende verabschiedet [27]. Damit hat man ein strengeres Kontrollsystem zur sog. Spenderdetektion etabliert. Gleichzeitig wurde eine höhere budgetäre Aufwandserstattung für die spendezentrierte intensivmedizinische Maximaltherapie, die Hirntoddiagnostik und die in der Regel nachts durchzuführenden Explantationen für die Entnahmekrankenhäuser gewährt. Doch die dürftige Bereitschaft zu Spendermeldungen seitens der Intensivmedizin blieb weitgehend unverändert. Z.B. erklärte 2022 der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt: „Die fehlende Beteiligung von weit über 70 Prozent der Krankenhäuser erscheint bedenklich“[28].
Die Widerspruchslösung würde die Autonomie der Intensivmedizin gegenüber der Transplantationsmedizin noch weiter einschränken.
Die Konstruktion eines Schuldproblems zur Legitimation der Entrechtung von sterbenskranken Intensivpatienten und ihren Angehörigen
Es gleicht einer unredlich politischen Strategie, wenn – wie im Gesetzentwurf dargelegt – das Leiden einer Gruppe sterbenskranker Patienten (potenzielle Organempfänger) gegen die Rechte von Intensivpatienten mit einer schweren Hirnschädigung ausgespielt wird. Sogar den Tod von schwerstkranken Menschen („auf der Warteliste“) führen die Autoren des GEs auf eine zu geringe Zahl der als Spender zur Verfügung stehenden Intensivpatienten ursächlich zurück und werfen den weltweit beklagten Organmangel als Frage eines speziell deutschen ‚Schuldproblems‘ auf.
Aus mehreren Gründen handelt es sich um eine Fehlinterpretation der Faktenlage:
- Die im GE erwähnte höhere Spenderquote anderer Länder geht vor allem auf die dortige Nutzung von Spendern nach Herzstillstand zurück (z.B. Spanien, Belgien, Niederlande). So ist beispielsweise in den Verbundländern von Eurotransplant (ET) Belgien und den Niederlanden der Anteil von Spendern nach Herzstillstand mittlerweile größer als der von Organspendern nach irreversiblem Hirnversagen (ET: Tabelle: 2.4.2.) [29]. Auch darf in beiden Staaten die dort legalisierte Euthanasie mit einer DCD-Organentnahme verknüpft werden. 2023 waren in den Niederlanden von insgesamt 292 Spendern 182 Non Heart Beating Donors (54,20%), in Belgien von 369 sogar 200 Spender nach Herzstillstand (62,33%) [29]. Eurotransplant verzeichnet im selben Jahr für Deutschland hingegen 928 Spender ausschließlich nach irreversiblem Hirnversagen und könnte somit seine Organressourcen durch die DCD-Methode verdoppeln. Solche Zahlen legen den Verdacht nahe, dass die geplante Einführung der Widerspruchsregelung auch auf eine subtile Durchsetzung der Entnahmepraxis nach Herzstillstand hinauszulaufen droht, wie z.B. in Österreich oder Frankreich geschehen – also unter Verzicht auf eine öffentliche Meinungsbildung. So befürwortete bereits die SPD-Bundestagsabgeordnete Martina Stamm-Fibich im Zusammenhang der Lebendspende die Einführung der DCD in Deutschland [30], allerdings nicht so lautstark wie die FDP, die damit auf breite Kritik stieß.
- Da nach Herzstillstand gewonnene Organe aufgrund des längeren Sterbeprozesses der Patienten eine mindere Qualität aufweisen (sog. Marginalorgane), müssen sie ohne weite Transportwege zeitnah und unverzüglich transplantiert werden. Abgesehen von ethischen Aspekten sind sie innerhalb des internationalen Eurotransplant-Verbundes nicht in andere Länder exportierbar. Berücksichtigen wir diese auf die jeweilige Nation beschränkte Verteilung der Organe von Spendern nach Herzstillstand und die oben genannten verdoppelten Spenderzahlen in den jeweiligen Staaten, so entbehrt der von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann in der 1. Lesung am 5. Dezember 2024 erhobene Vorwurf, Deutschland sei ein (unsolidarisches) ‚Organ-„Nehmerland“‘[31], jeglicher Grundlage.
- Der beklagenswerte Tod von auf der Warteliste stehenden Menschen, die z.B. aufgrund einer alkoholischen Leberkrankheit – der am häufigsten gestellten Indikation für das Setzen auf die Lebertransplantations-Warteliste [32] – oder an einem Krebsleiden der Leber sterben, ist ihrer schweren Grunderkrankung geschuldet, nicht aber einer diffus behaupteten fehlenden Zahl verfügbarer Spender [17].
Solche sachlich nicht korrekten kausalen Herleitungen erzeugen gleichsam die Illusion, jede mit schweren Nebenwirkungen verbundene Ultima Ratio Operation einer Transplantation (z.B. Organabstoßungen, erhöhtes Krebsrisiko) [33] würde automatisch und langfristig „Leben retten“. So werden keine Überlebensraten [34] von Transplantationspatienten öffentlich genannt und auch nicht das Alter, die Krankenvorgeschichte, der Alkohol-, Nikotin-, Medikamenten-, Drogen- und Nahrungsmittelkonsum von potenziellen Spendern in den Blick genommenen. Indessen steigt der Anteil von sog. marginalen Organen (z.B. Fettlebern, Organe mit Konservierungsschäden, Raucher- oder Wasserlungen) [35, 36, 37] stetig an [37], ebenso die Zahl von hochbetagten Spendern. 2023 lag das Medianalter in einzelnen Ländern des ET-Verbundes wie z.B. Belgien bei 59, der Slowakei bei 60, in Luxemburg bei 65 Jahren und das von Eurotransplant bei 57 Jahren [38]. Dies entspricht der Situation in Deutschland, wo ein Drittel aller Spender älter als 65 sind („Old-for-Old Program“) (ESP) [39, 40]. 2023 betrug hier das Höchstalter von Lungenspendern 87 und das von Leberspendern 89 Jahre [40].
Widerspruchslösung: Der medizinethische und rechtliche Dammbruch
Für die hypothetische Lebensrettung von todkranken Patienten wird durch den Gesetzentwurf zwar nicht ausdrücklich, aber in der rechtlichen Konsequenz die im BGB verankerte Patientenautonomie letztlich ausgehöhlt (§ 1827 BGB; § 630e Abs. 1 S. 1 u. S. 2 u. S. 3 BGB). Ebenso wären ohne individuelle Zustimmung für eine Organ- und Gewebespende das über den Tod hinausreichende Persönlichkeitsrecht und der Schutz der Totenruhe (§ 168 StGB) eingeschränkt. All diese Rechte würden für sterbenskranke Intensivpatienten mit einer schweren Hirnschädigung nicht mehr gelten, sofern sie kein Verbot der spendezentrierten medizinischen Eingriffe sowie der mit einer Organ- und Gewebespende verbundenen Körperzergliederung eigenständig dokumentiert haben.
Obwohl die Einführung der Widerspruchslösung einer Entrechtung aller Intensivpatienten mit einer schweren Hirnschädigung und ihren Angehörigen gleichkäme, bleiben im GE die mit dieser Neuregelung verknüpften juristischen Kernfragen ausgeblendet, ja tabuisiert. Hingegen wird die Absicht betont, die Familien vor einer unzumutbaren Entscheidungssituation zu schützen und eine „Entlastung der nächsten Angehörigen“ sowie der Ärzte bewirken. zu wollen. Tatsächlich aber wären die betroffenen Familien von dem gesamten Verfahren ausgeschlossen. Der geliebten Person kann nicht die Hand bis zuletzt gehalten werden, was auf die Abschiednahme und Trauerbewältigung verheerende Auswirkungen für immer haben kann.
Die medizinethisch und rechtlich heikle Begründung für die Entrechtung von sterbenskranken Intensivpatienten und ihren Angehörigen, ebenso die damit einhergehende eingeschränkte Autonomie der Intensivmedizin widersprechen medizinrechtlichen sowie rechtsstaatlichen Prinzipien und sind nicht hinnehmbar.
Sehr geehrte Frau Dr. Kappert-Gonther, KAO setzt seine Hoffnung darauf, dass bei der Entscheidung im Deutschen Bundestag Gehör finden.
Mit freundlichen Grüßen
Frau
Dr. Kirsten Kappert-Gonther
Stellvertretende Vorsitzende
des Gesundheitsausschusses
Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin Hannover, den 17.01.2025
Initiativstellungnahme zur öffentlichen Anhörung „Änderung des Transplantationsgesetzes“
Sehr geehrte Frau Dr. Kappert-Gonther,
als Vorsitzende des Vereins Kritische Aufklärung über Organtransplantation bitten wir um Berücksichtigung unserer Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung „Änderung des Transplantationsgesetzes“.
Angesichts der medizinethischen und rechtlichen Tragweite der geplanten Gesetzesreform ist aus Sicht des Vereins Kritische Aufklärung über Organtransplantation die juristische Prüfung der hochkomplexen Rechtssituation von potenziellen Organspendern unter Bedingungen der Widerspruchslösung dringend geboten. Denn die Rechtslage der als Spender in Frage kommenden Intensivpatienten bildet bereits heute eine Grauzone zwischen dem im BGB verankerten Betreuungsrecht und der Transplantationsgesetzgebung [1, 16].
Schon jetzt beginnt die fremdnützige Behandlung von potenziellen Spendern – die sog. Spenderkonditionierung – auf der Intensivstation „bereits mit der Diagnose einer schweren Hirnschädigung“ [2, 28], also vor Eintritt des irreversiblen Hirnversagens (sog. Hirntod), wie in den Fortbildungsempfehlungen für die Intensivtherapie bei Organspendern erklärt. Die Rechtslücke zwischen Betreuungs- und Transplantationsrecht wird in der Fachdiskussion [3, 1, 6, 8, 16] immer wieder problematisiert. Auch der Deutsche Ethikrat hat 2015 in seiner Stellungnahme „Hirntod und Entscheidung zur Organspende“ darauf hingewiesen [4]. Doch bisher hat der Gesetzgeber diese Kritik nicht aufgegriffen.
Ohne Einwilligung der Patienten: Die fremdnützige, lebensverlängernde spendezentrierte Intensivtherapie beginnt zu Lebzeiten und fällt in das Betreuungsrecht (BGB)
Der Gesetzentwurf (GE) vom 14.11.2024 sieht vor, die Behandlungssituation aller Intensivpatienten mit einer schweren Hirnschädigung rechtlich neu zu regeln [5]. Aber auf den beabsichtigten, massiven Eingriff in die Grundrechte von hirngeschädigten Intensivpatienten wird mit keinem Wort eingegangen. Diese Patientengruppe dürfte künftig schon zu Lebzeiten ohne Einwilligung der speziell für Organspender entwickelten Behandlung – der fremdnützigen, lebensverlängernden, sog. spendezentrierten Intensivtherapie [2, 8, 6, 10] – unterzogen werden. Eine solche Neuregelung würde gegen das Patientenverfügungsgesetz (§ 1827 BGB) und das Grundgesetz verstoßen. Denn die betreffenden Patienten befinden sich in dieser Phase als Sterbende im Rechtsstatus von lebenden Menschen. Unabhängig von ihren besonderen Eigenschaften genießen sie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz) [7].
Ebenso wäre es gestattet, ohne Einverständnis der betreffenden Patienten, unter Bedingungen der Spenderkonditionierung, das „Therapieziel Hirntod“ [8] anzustreben. Hervorzuheben ist: Die Hirntoddiagnostik ist ausschließlich bei potenziellen Organspendern durchzuführen, denn sie bildet die Voraussetzung für die Organentnahme. Und auch nach Feststellung des irreversiblen Hirnversagens dürfte ohne Zustimmung der Patienten sowie gegen das Totenfürsorgerecht ihrer Angehörigen die spendezentrierte Intensivbehandlung weitergeführt werden, bis Organspender im Zuge der körperzergliedernden (Multi-)Organentnahmen den Herztod erleiden.
Der überwiegende Teil aller Verstorbenen könnte ohne individuelle Zustimmung von kommerzialisierbaren Gewebeentnahmen betroffen sein
Hinsichtlich der Gewebeentnahme wären im Falle der Widerspruchslösung auch Menschen betroffen, die einen Herztod erleiden. Denn Gewebe ist bis zu 72 Stunden nach dem Tod explantierbar und nicht an ein irreversibles Hirnversagen gebunden. Wiederum ohne individuelle Einwilligung und ohne Rücksicht auf die Angehörigen dürfte Gewebe entnommen werden – z.B. Knochen (Beckenkamm, Röhrenknochen, ganze Gelenke), Haut, Bänder, Muskeln, Rippenknorpel, Blutgefäße (Arterien, Venen), Weichteilgewebe (Sehnen, Bindegewebe), Augenhornhäute, Herzklappen. Zu berücksichtigen ist, dass die mit einem industriellen Verfahren verarbeitete Gewebespende dem Arzneimittelgesetz (§ 4 Abs. 30 AMG) unterliegt und kommerzialisierbar ist (§§ 21, 21a AMG) [9].
„Justified Killing“ – International umstrittene Todesdefinitionen
Im Rahmen der sog. Spender-Präkonditionierung gegen potenzielle Schädigungen der zu gewinnenden Organe ist zu ihrer optimalen Durchblutung eine ständige medizinische Unterdrückung des Sterbeprozesses notwendig (z.B. Hormonersatztherapie, Dopamingaben, fortgesetzte Ernährung, Medikamente gegen den Abfall der Stoffwechselleistungen und einer Herzinsuffizienz) [10]. Im Falle eines Herzversagens ist eine Reanimation üblich [11, 2, 10, 22], um den sog. Organspendeprozess weiterführen zu können. Denn aus dem Körperinneren von Leichen entnommene Organe sind nicht verpflanzbar, sondern nur blutdurchströmte Organe aus einem lebenden Körper mit schlagendem Herzen, also nur unter der Voraussetzung ihrer lebensnotwendigen Versorgung mit Blut, Sauerstoff sowie weiteren Nährstoffen.
Entsprechend bezieht sich die 1968 eigens für die Transplantationsmedizin entwickelte Todesdefinition („brain death“) ganz allein auf das Versagen eines einzigen Organs: des Gehirns. Daher spricht die Transplantationsmedizin von einer „toten Person“ mit einem „noch überlebenden Körper“ [12]. Diese reduzierte, doppeldeutige Vorstellung über Sterben und Tod ist seit 1968 bis heute international umstritten.
Aber selbst in der Transplantationsmedizin wurde das Hirntodkriterium als Voraussetzung für Organexplantationen nicht aufrechterhalten und die Spenderkategorie nach Herzstillstand eingeführt: Die sog. Non Heart Beating Donors (NHBD: Spender ohne schlagende Herzen; aktueller Begriff: Donation after circulatory death: DCD). Doch diese Form der Organgewinnung wurde in Deutschland von der Zentralen Ethikkommission als Tötung ethisch verworfen [13], ebenso vom Deutschen Ethikrat mehrheitlich abgelehnt [4]. Denn Menschen sind nach einem Herzstillstand reanimierbar.
Vor diesem Hintergrund plädieren die Bioethiker Robert D. Truog von der Harvard University und Franklin G. Miller dafür, die ‚Tote-Spender-Regel‘ gänzlich aufzugeben und kommen zu dem Schluss: „the ‚brain dead‘ are not really dead“ –„Hirntote sind nicht wirklich tot“ [14]. Truog und Miller kennzeichnen Organentnahmen nach irreversiblem Hirnversagen wie nach Herzstillstand als „justified killing“ [14], – als „gerechtfertigtes Töten“, um den weltweit herrschenden ‚Organmangel‘ beheben zu können. Entsprechend liegt der in verschiedenen Ländern (z.B. Spanien, Belgien, Großbritannien) durchgesetzten Legalisierung der NHBD-Organgewinnung ein einziges Motiv zugrunde: die Vergrößerung des sog. Spenderpools.
Insofern ist die Rhetorik von der Organspende „nach meinem Tod“ irreführend. Umso mehr bedarf die für transplantationsmedizinische Zwecke zugrundliegende Todesvorstellung einer für Laien allgemeinverständlichen Aufklärung, ebenso über die z.B. von Mitgliedern des Deutschen Ethikrates kritisierte Gleichsetzung des irreversiblen Hirnversagens mit dem Tod des Menschen [4, 15, 16].
Allgemeine Wissensdefizite – Die Alternative zu einer Multiorganentnahme unter Bedingungen der intensivmedizinischen Spenderkonditionierung ist die ärztliche Sterbebegleitung in Kooperation mit den Angehörigen
Wie in der Werbung für ‚Organspende‘ üblich, werden auch in den Gesetzentwürfen Informationen über die für Explantationszwecke notwendigen intensivmedizinischen Maßnahmen zur Manipulation des Sterbeprozesses nicht problematisiert. Auch bleiben sie einer breiten Öffentlichkeit verschlossen [15, 16, 17]. Eine umfassende Aufklärung über die kulturellen, sozialen und medizinischen Dimensionen einer Organ- und Gewebeentnahme ist unerlässlich [17]. Doch zu keinem Zeitpunkt wurde in der bisherigen Diskussion thematisiert, dass
- eine Organspende nur unter dem Verzicht auf eine ärztliche und familiäre Sterbebegleitung möglich ist, obwohl die informierte ärztliche Aufklärung dazu verpflichtet, alternative Behandlungsweisen aufzuzeigen (§ 630e Abs. 1 S. 3 BGB). Die Alternative zu einer Organspende ist die „Therapiebegrenzung mit Symptomlinderung und Sterbebegleitung im Sinne eines palliativen Behandlungskonzeptes“ [2, 1, 3, 6, 8, 18, 19, 20], wie in den Fortbildungsempfehlungen für die Intensivtherapie bei potenziellen Spendern erklärt;
- ein gravierender Unterschied besteht zwischen dem irreversiblen Hirnversagen unter Bedingungen der weitergeführten Intensivtherapie und dem Herztod (Atem- und Herzstillstand, Totenstarre, Totenflecke, Verwesung). Entsprechend werden die von diversen, externen Chirurgenteams vorzunehmenden Organentnahmen anästhesiologisch betreut. Bis der Herztod auf dem OP-Tisch eintritt und der Spender zu einer Leiche wird, verabreichen Anästhesisten Medikamente zur Unterdrückung von Bewegungen (Muskelrelaxanzien) und Schmerzmittel (Opioide), oder sie führen eine Narkose durch [21, 22].
Die Widerspruchslösung untergräbt die ärztliche Verantwortung der Intensivmedizin für ihre am Lebensende behandelten Patienten
Befürworter der Widerspruchslösung missachten das Genfer Gelöbnis, das nach den Medizinverbrechen im Nationalsozialismus ärztliches Handeln darauf verpflichtet hat, bei jeder medizinischen Maßnahme das Wohl des behandelten Patienten zum obersten Anliegen zu machen [23]. Diese ethische Maxime erklärt auch die seit Jahrzehnten beobachtete Zurückhaltung in der Intensivmedizin, die eigenen Patienten als potenzielle Spender wahrzunehmen und die fremdnützige Spenderkonditionierung als ihre Aufgabe zu betrachten [24, 25, 26]. Um eine Verhaltensänderung des Intensivpersonals zu bewirken, wurde gegen die geringe Beteiligung der Intensivmedizin an der Spenderrekrutierung 2019 das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende verabschiedet [27]. Damit hat man ein strengeres Kontrollsystem zur sog. Spenderdetektion etabliert. Gleichzeitig wurde eine höhere budgetäre Aufwandserstattung für die spendezentrierte intensivmedizinische Maximaltherapie, die Hirntoddiagnostik und die in der Regel nachts durchzuführenden Explantationen für die Entnahmekrankenhäuser gewährt. Doch die dürftige Bereitschaft zu Spendermeldungen seitens der Intensivmedizin blieb weitgehend unverändert. Z.B. erklärte 2022 der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt: „Die fehlende Beteiligung von weit über 70 Prozent der Krankenhäuser erscheint bedenklich“[28].
Die Widerspruchslösung würde die Autonomie der Intensivmedizin gegenüber der Transplantationsmedizin noch weiter einschränken.
Die Konstruktion eines Schuldproblems zur Legitimation der Entrechtung von sterbenskranken Intensivpatienten und ihren Angehörigen
Es gleicht einer unredlich politischen Strategie, wenn – wie im Gesetzentwurf dargelegt – das Leiden einer Gruppe sterbenskranker Patienten (potenzielle Organempfänger) gegen die Rechte von Intensivpatienten mit einer schweren Hirnschädigung ausgespielt wird. Sogar den Tod von schwerstkranken Menschen („auf der Warteliste“) führen die Autoren des GEs auf eine zu geringe Zahl der als Spender zur Verfügung stehenden Intensivpatienten ursächlich zurück und werfen den weltweit beklagten Organmangel als Frage eines speziell deutschen ‚Schuldproblems‘ auf.
Aus mehreren Gründen handelt es sich um eine Fehlinterpretation der Faktenlage:
- Die im GE erwähnte höhere Spenderquote anderer Länder geht vor allem auf die dortige Nutzung von Spendern nach Herzstillstand zurück (z.B. Spanien, Belgien, Niederlande). So ist beispielsweise in den Verbundländern von Eurotransplant (ET) Belgien und den Niederlanden der Anteil von Spendern nach Herzstillstand mittlerweile größer als der von Organspendern nach irreversiblem Hirnversagen (ET: Tabelle: 2.4.2.) [29]. Auch darf in beiden Staaten die dort legalisierte Euthanasie mit einer DCD-Organentnahme verknüpft werden. 2023 waren in den Niederlanden von insgesamt 292 Spendern 182 Non Heart Beating Donors (54,20%), in Belgien von 369 sogar 200 Spender nach Herzstillstand (62,33%) [29]. Eurotransplant verzeichnet im selben Jahr für Deutschland hingegen 928 Spender ausschließlich nach irreversiblem Hirnversagen und könnte somit seine Organressourcen durch die DCD-Methode verdoppeln. Solche Zahlen legen den Verdacht nahe, dass die geplante Einführung der Widerspruchsregelung auch auf eine subtile Durchsetzung der Entnahmepraxis nach Herzstillstand hinauszulaufen droht, wie z.B. in Österreich oder Frankreich geschehen – also unter Verzicht auf eine öffentliche Meinungsbildung. So befürwortete bereits die SPD-Bundestagsabgeordnete Martina Stamm-Fibich im Zusammenhang der Lebendspende die Einführung der DCD in Deutschland [30], allerdings nicht so lautstark wie die FDP, die damit auf breite Kritik stieß.
- Da nach Herzstillstand gewonnene Organe aufgrund des längeren Sterbeprozesses der Patienten eine mindere Qualität aufweisen (sog. Marginalorgane), müssen sie ohne weite Transportwege zeitnah und unverzüglich transplantiert werden. Abgesehen von ethischen Aspekten sind sie innerhalb des internationalen Eurotransplant-Verbundes nicht in andere Länder exportierbar. Berücksichtigen wir diese auf die jeweilige Nation beschränkte Verteilung der Organe von Spendern nach Herzstillstand und die oben genannten verdoppelten Spenderzahlen in den jeweiligen Staaten, so entbehrt der von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann in der 1. Lesung am 5. Dezember 2024 erhobene Vorwurf, Deutschland sei ein (unsolidarisches) ‚Organ-„Nehmerland“‘[31], jeglicher Grundlage.
- Der beklagenswerte Tod von auf der Warteliste stehenden Menschen, die z.B. aufgrund einer alkoholischen Leberkrankheit – der am häufigsten gestellten Indikation für das Setzen auf die Lebertransplantations-Warteliste [32] – oder an einem Krebsleiden der Leber sterben, ist ihrer schweren Grunderkrankung geschuldet, nicht aber einer diffus behaupteten fehlenden Zahl verfügbarer Spender [17].
Solche sachlich nicht korrekten kausalen Herleitungen erzeugen gleichsam die Illusion, jede mit schweren Nebenwirkungen verbundene Ultima Ratio Operation einer Transplantation (z.B. Organabstoßungen, erhöhtes Krebsrisiko) [33] würde automatisch und langfristig „Leben retten“. So werden keine Überlebensraten [34] von Transplantationspatienten öffentlich genannt und auch nicht das Alter, die Krankenvorgeschichte, der Alkohol-, Nikotin-, Medikamenten-, Drogen- und Nahrungsmittelkonsum von potenziellen Spendern in den Blick genommenen. Indessen steigt der Anteil von sog. marginalen Organen (z.B. Fettlebern, Organe mit Konservierungsschäden, Raucher- oder Wasserlungen) [35, 36, 37] stetig an [37], ebenso die Zahl von hochbetagten Spendern. 2023 lag das Medianalter in einzelnen Ländern des ET-Verbundes wie z.B. Belgien bei 59, der Slowakei bei 60, in Luxemburg bei 65 Jahren und das von Eurotransplant bei 57 Jahren [38]. Dies entspricht der Situation in Deutschland, wo ein Drittel aller Spender älter als 65 sind („Old-for-Old Program“) (ESP) [39, 40]. 2023 betrug hier das Höchstalter von Lungenspendern 87 und das von Leberspendern 89 Jahre [40].
Widerspruchslösung: Der medizinethische und rechtliche Dammbruch
Für die hypothetische Lebensrettung von todkranken Patienten wird durch den Gesetzentwurf zwar nicht ausdrücklich, aber in der rechtlichen Konsequenz die im BGB verankerte Patientenautonomie letztlich ausgehöhlt (§ 1827 BGB; § 630e Abs. 1 S. 1 u. S. 2 u. S. 3 BGB). Ebenso wären ohne individuelle Zustimmung für eine Organ- und Gewebespende das über den Tod hinausreichende Persönlichkeitsrecht und der Schutz der Totenruhe (§ 168 StGB) eingeschränkt. All diese Rechte würden für sterbenskranke Intensivpatienten mit einer schweren Hirnschädigung nicht mehr gelten, sofern sie kein Verbot der spendezentrierten medizinischen Eingriffe sowie der mit einer Organ- und Gewebespende verbundenen Körperzergliederung eigenständig dokumentiert haben.
Obwohl die Einführung der Widerspruchslösung einer Entrechtung aller Intensivpatienten mit einer schweren Hirnschädigung und ihren Angehörigen gleichkäme, bleiben im GE die mit dieser Neuregelung verknüpften juristischen Kernfragen ausgeblendet, ja tabuisiert. Hingegen wird die Absicht betont, die Familien vor einer unzumutbaren Entscheidungssituation zu schützen und eine „Entlastung der nächsten Angehörigen“ sowie der Ärzte bewirken. zu wollen. Tatsächlich aber wären die betroffenen Familien von dem gesamten Verfahren ausgeschlossen. Der geliebten Person kann nicht die Hand bis zuletzt gehalten werden, was auf die Abschiednahme und Trauerbewältigung verheerende Auswirkungen für immer haben kann.
Die medizinethisch und rechtlich heikle Begründung für die Entrechtung von sterbenskranken Intensivpatienten und ihren Angehörigen, ebenso die damit einhergehende eingeschränkte Autonomie der Intensivmedizin widersprechen medizinrechtlichen sowie rechtsstaatlichen Prinzipien und sind nicht hinnehmbar.
Sehr geehrte Frau Dr. Kappert-Gonther, KAO setzt seine Hoffnung darauf, dass bei der Entscheidung im Deutschen Bundestag Gehör finden.
Mit freundlichen Grüßen
Renate Greinert | Dr. med. Martin Stahnke | Dr. med. Jochen Ritz |
1. Vorsitzende KAO | 2. Vorsitzender KAO | Mitglied KAO |
LITERATUR
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