Tag der Organspende 2025 - Manipulation statt Aufklärung

Auch beim „Tag der Organ­spen­de“ wer­den der Bevöl­ke­rung wesent­li­che Argu­men­te und Infor­ma­tio­nen vorenthalten.

Am kom­men­den Sams­tag ist wie­der „Tag der Organ­spen­de“. Die zen­tra­le Ver­an­stal­tung mit einem öku­me­ni­schen Got­tes­dienst und diver­sen Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tun­gen fin­det die­ses Jahr in Regens­burg statt. Auf der Web­sei­te www​.tagd​er​or​gan​spen​de​.de kön­nen dazu Mate­ria­li­en her­un­ter­ge­la­den wer­den, unter ande­rem Pos­ter und Post­kar­ten mit der Auf­for­de­rung „Ent­schei­de dich“. Kon­kre­te Infor­ma­tio­nen sind auf die­ser Inter­net­sei­te nicht zu fin­den. Letzt­lich wird auf das Por­tal www​.organ​spen​de​-info​.de ver­wie­sen, die offi­zi­el­le Infor­ma­ti­ons­sei­te des Bun­des­in­sti­tuts für Öffent­li­che Gesund­heit (BIÖG; frü­her: Bun­des­zen­tra­le für gesund­heit­li­che Auf­klä­rung).
Das Infor­ma­ti­ons­an­ge­bot des BIÖG zielt vor allem dar­auf ab, die Lese­rin­nen und Leser zu moti­vie­ren, „eine Ent­schei­dung zu tref­fen“. Es gehe um die Fra­ge, ob man bereit ist, „nach dem Tod“ oder „post­mor­tal“ Orga­ne zu spen­den. Die­se Dar­stel­lung der Ent­schei­dungs­si­tua­ti­on setzt vor­aus, dass Organ­spen­der im Zeit­punkt der Organ­ent­nah­me bereits tot sind. Gera­de zu die­ser wesent­li­chen Vor­an­nah­me fin­den sich aber in den gesam­ten „Auf­klä­rungs­ma­te­ria­li­en“ des BIÖG kei­ne brauch­ba­ren Infor­ma­tio­nen. Das dürf­te den aller­meis­ten Lesern nicht auf­fal­len, weil im Rah­men der Organ­spen­de­auf­klä­rung seit Jahr­zehn­ten behaup­tet wird, mit dem „Hirn­tod“ sei auch der Tod des Men­schen ein­ge­tre­ten. War­um der „Hirn­tod“ ein siche­res Todes­zei­chen sein soll, wird nicht wei­ter begrün­det, son­dern als selbst­ver­ständ­lich vor­aus­ge­setzt. Auch die Richt­li­nie der Bun­des­ärz­te­kam­mer zur Fest­stel­lung des „Hirn­to­des“ ent­hält die­se The­se. Wört­lich wird behaup­tet, mit dem „Hirn­tod“ sei „natur­wis­sen­schaft­lich-medi­zi­nisch der Tod des Men­schen fest­ge­stellt“. Begrün­dung? Fehl­an­zei­ge.
Das soll­te miss­trau­isch machen. Ist es wirk­lich so, dass die Funk­ti­ons­un­fä­hig­keit eines ein­zel­nen Organs des Men­schen als siche­res Zei­chen des Todes gewer­tet wer­den kann? Bei ande­ren lebens­wich­ti­gen Orga­nen sieht man das nicht so. Bleibt das Herz ste­hen, liegt zwar eine lebens­ge­fähr­li­che Situa­ti­on vor, aber man ist noch nicht tot. Es kommt viel­mehr dar­auf an, ob die Funk­ti­on des Her­zens durch geeig­ne­te Maß­nah­men wie­der­her­ge­stellt (Reani­ma­ti­on) oder mit tech­ni­schen Mit­teln ersetzt wer­den kann (Herz-Lun­gen-Maschi­ne, Kunst­herz). Das Glei­che gilt auch für die­je­ni­gen Gehirn­funk­tio­nen, die das kör­per­li­che Leben des Men­schen steu­ern und regu­lie­ren, ins­be­son­de­re die Rege­lung der Atmung. Der Funk­ti­ons­aus­fall des Atem­zen­trums im Hirn­stamm kann durch maschi­nel­le Beatmung kom­pen­siert wer­den.
Dadurch wird ver­hin­dert, dass die tra­di­tio­nel­len Todes­zei­chen (Lei­chen­fle­cke, Lei­chen­star­re, Ver­we­sung) auf­tre­ten. Der Ersatz einer wesent­li­chen Hirn­funk­ti­on führt dazu, dass der Tod ver­hin­dert wird – genau­so wie beim Ersatz der Pump­funk­ti­on des Her­zens.
Ent­schei­dend ist nicht, wel­ches Organ des Men­schen als ers­tes aus­fällt, son­dern ob die­se Schä­di­gung dazu führt, dass es zu dem Zustand kommt, für den wir die Bezeich­nung „Tod“ ver­wen­den. Eine gesetz­li­che Defi­ni­ti­on des Begriffs „Tod“ gibt es nicht, auch nicht im Trans­plan­ta­tions­ge­setz. Nach Ansicht der Bun­des­ärz­te­kam­mer bedeu­tet „Tod“ neben dem Ver­lust der geis­ti­gen Fähig­kei­ten des Men­schen auch den Ver­lust der kör­per­li­chen Inte­gra­ti­on. In der Bro­schü­re „Was ist der Hirn­tod?“ weist auch das BIÖG auf die­sen Aspekt hin. Das Gehirn erbrin­ge für den Gesamt­or­ga­nis­mus als Steue­rungs­zen­tra­le „die not­wen­di­ge Inte­gra­ti­ons­leis­tung, ohne die er nicht als leib­lich-see­li­sche
Ein­heit exis­tie­ren kann. … Erlö­schen daher die Gehirn­funk­tio­nen unwie­der­bring­lich, fal­len auch alle Organ­funk­tio­nen aus und der mensch­li­che Kör­per zer­fällt“.
Die­se Behaup­tung ist offen­sicht­lich falsch. Per­so­nen, bei denen der „Hirn­tod“ fest­ge­stellt wur­de, zei­gen kei­ne Anzei­chen von Des­in­te­gra­ti­on. Ihr Orga­nis­mus bleibt – mit inten­siv­me­di­zi­ni­scher Unter­stüt­zung – voll­stän­dig erhal­ten und funk­ti­ons­fä­hig: alle Orga­ne, Gewe­be und Zel­len blei­ben durch­blu­tet und wer­den mit Sau­er­stoff ver­sorgt, Nah­rung und Flüs­sig­keit wer­den ver­wer­tet, Abfall­stof­fe aus­ge­schie­den und Kei­me aus der Umwelt bekämpft (Immun­sys­tem). Hat eine Ver­let­zung zum Hirn­funk­tions­aus­fall geführt, kommt es zur Wund­hei­lung – wie bei ande­ren Inten­siv­pa­ti­en­ten auch. Schwan­ge­re Pati­en­tin­nen mit aus­ge­fal­le­nen Hirn­funk­tio­nen kön­nen über Wochen und Mona­te ein Kind aus­tra­gen. Zei­chen der Des­in­te­gra­ti­on, wie sie bei Lei­chen typisch sind, tre­ten bei Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit dem „Hirntod“-Syndrom nicht auf. Ein Aus­fall „aller Organ­funk­tio­nen“ oder ein „Zer­fall“ des mensch­li­chen Kör­pers fin­det nicht statt.
Es ist erstaun­lich, dass die frü­he­re Bun­des­zen­tra­le für gesund­heit­li­che Auf­klä­rung über vie­le Jah­re hin­weg die oben zitier­te Falsch­in­for­ma­ti­on ver­brei­ten konn­te und dass sich auch unter dem neu­en Namen Bun­des­in­sti­tut für Öffent­li­che Gesund­heit“ kei­ne Ände­rung die­ser „Auf­klä­rungs­pra­xis“ abzeich­net. Dabei liegt das Haupt­pro­blem des „Hirntod“-Konzepts auf der Hand: der „Hirn­tod“ zeigt das ihm zugrun­de lie­gen­de Todes­ver­ständ­nis „Des­in­te­gra­ti­on des Orga­nis­mus“ nicht an. Er ist des­halb kein siche­res Todes­zei­chen.
Gleich­wohl wird in allen „Auf­klä­rungs­ma­te­ria­li­en“ des BIÖG still­schwei­gend davon aus­ge­gan­gen, dass mit dem „Hirn­tod“ auch der Tod des poten­ti­el­len Spen­ders nach­ge­wie­sen sei. Eine ernst­haf­te Begrün­dung für die­se Ansicht sucht man ver­ge­bens; die Argu­men­te gegen das „Hirntod“-Konzept wer­den unterschlagen.

Die­ses Vor­ge­hen ver­stößt gegen das Trans­plan­ta­tions­ge­setz (TPG). Gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 TPG hat die Auf­klä­rung der Bevöl­ke­rung „die gesam­te Trag­wei­te der Ent­schei­dung zu umfas­sen und muss ergeb­nis­of­fen sein“. Sie muss sich auch auf Aspek­te erstre­cken, „die einer Organ- und Gewe­be­spen­de mög­li­cher­wei­se ent­ge­gen­ste­hen könn­ten“ – so die Geset­zes­be­grün­dung. Daher müss­ten ins­be­son­de­re die Pro­ble­me des „Hirntod“-Konzepts the­ma­ti­siert wer­den. Die­se wer­den aber nicht ein­mal erwähnt. Von einer „ergeb­nis­of­fe­nen“ Auf­klä­rung kann daher kei­ne Rede sein.
Auch die Dar­stel­lung der Rechts­la­ge ist unrich­tig. Als Vor­aus­set­zung einer Organ­spen­de wird vom BIÖG der „Hirn­tod“ genannt. Mit dem Nach­weis des „Hirn­to­des“ wird aber nur ver­mie­den, dass die Organ­ent­nah­me unzu­läs­sig ist (sie­he § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG). Zuläs­sig ist die Organ­ent­nah­me hin­ge­gen, wenn „der Tod“ des Organ­spen­ders fest­ge­stellt wur­de (§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG). Indem das BIÖG die wesent­li­che und vor­ran­gi­ge Zuläs­sig­keits­vor­aus­set­zung für Organ­ent­nah­men, näm­lich den ein­ge­tre­te­nen Tod (nicht den „Hirn­tod“) ver­schweigt, wer­den die Adres­sa­ten der „Auf­klä­rungs­maß­nah­men“ in die Irre geführt. Schon am Geset­zes­wort­laut wäre zu erken­nen, dass zwi­schen Tod und „Hirn­tod“ ein Unter­schied besteht. Bei­de Zustän­de wer­den im gesam­ten Geset­zes­text sorg­fäl­tig aus­ein­an­der­ge­hal­ten. Auch davon erfah­ren die Bür­ge­rin­nen und Bür­ger nichts.
„Die Fra­ge nach dem Tod spielt für die Organ­spen­de eine beson­de­re, zen­tra­le Rol­le“, heißt es an einer Stel­le im Inter­net­por­tal www​.organ​spen​de​-info​.de. Gera­de des­halb müss­te im Rah­men der Auf­klä­rungs­be­mü­hun­gen beson­de­rer Wert dar­auf gelegt wer­den, Infor­ma­tio­nen zur Bedeu­tung von „Tod“ und „Hirn­tod“ sowie ihrem Ver­hält­nis zuein­an­der zu ver­mit­teln. Es han­delt sich um eine wesent­li­che Vor­fra­ge, die für den Ein­zel­nen mit ent­schei­dend dafür sein kann, ob er sich für oder gegen eine Organ­spen­de aus­spricht. Infor­ma­tio­nen, die es ermög­lich­en wür­den, sich zum Sinn der gesetz­li­chen Rege­lung oder zum Ver­hält­nis zwi­schen „Tod“ und „Hirn­tod“ selbst Gedan­ken machen zu kön­nen, stellt das BIÖG nicht zur Ver­fü­gung. Statt­des­sen wird ein­sei­tig der „Hirn­tod“ als siche­res Todes­zei­chen pro­pa­giert. Die (über­zeu­gen­den) Argu­men­te gegen das „Hirntod“-Konzept wer­den nicht ein­mal erwähnt. Das ist kei­ne Auf­klä­rung, son­dern Mani­pu­la­ti­on.
Wie rea­li­täts­fremd das „Hirntod“-Konzept letzt­lich ist, zei­gen die jüngs­ten Pres­se­be­rich­te über den Fall einer „hirn­to­ten“ Schwan­ge­ren in den USA. Im US-Bun­des­staat Geor­gia wird aktu­ell eine Frau nach der Fest­stel­lung des „Hirn­to­des“ wei­ter medi­zi­nisch betreut, um ihrem Kind eine Über­le­bens­chan­ce zu geben. In allen Berich­ten zu die­sem Fall heißt es, dass die Betrof­fe­ne „am Leben erhal­ten“ wer­de. So ist es. Man kann es ver­nünf­ti­ger­wei­se nicht anders aus­drü­cken. Ein Orga­nis­mus, der in der Lage ist, eine Schwan­ger­schaft aus­zu­tra­gen, ist kei­ne Lei­che. Das „Hirntod“-Konzept ist nichts ande­res als eine kon­tra­fak­ti­sche Umdeu­tung lebens­er­hal­ten­der Ein­grif­fe in einen neu­en „Tod bei leben­di­gem Leib“. Die­ser seman­ti­sche Betrug darf nicht län­ger die Geschäfts­grund­la­ge der „Auf­klä­rung“ zur Organ­spen­de sein.
Aktio­nen und Berich­te zum „Tag der Organ­spen­de“, die sich dar­in erschöp­fen, von den Bür­ge­rin­nen und Bür­gern eine Ent­schei­dung zu ver­lan­gen, ver­de­cken das eigent­li­che Pro­blem. Die meis­ten Men­schen sind gar nicht in der Lage, eine wohl­in­for­mier­te und wirk­lich selbst­be­stimm­te Ent­schei­dung zu tref­fen, weil ihnen wesent­li­che Infor­ma­tio­nen vor­ent­hal­ten wer­den. Das BIÖG muss des­halb end­lich die Kri­tik am „Hirntod“-Konzept in sei­nen Auf­klä­rungs­ma­te­ria­li­en berück­sich­ti­gen.
Nur so kann gewähr­leis­tet wer­den, dass alle Ent­schei­dun­gen zum The­ma Organ­spen­de auf einer trag­fä­hi­gen Grund­la­ge beruhen.

Der Autor ist Medi­zin­recht­ler und Ver­fas­ser des Buches: Das „Hirntod“-Konzept und der Tod des Men­schen. Eine Unter­su­chung aus der Per­spek­ti­ve pro­zes­sua­ler Beweis­wür­di­gung, Baden-Baden: Nomos-
Ver­lag, 2025, 923 Sei­ten, EUR 279,–