Auch beim „Tag der Organspende“ werden der Bevölkerung wesentliche Argumente und Informationen vorenthalten.
Am kommenden Samstag ist wieder „Tag der Organspende“. Die zentrale Veranstaltung mit einem ökumenischen Gottesdienst und diversen Informationsveranstaltungen findet dieses Jahr in Regensburg statt. Auf der Webseite www.tagderorganspende.de können dazu Materialien heruntergeladen werden, unter anderem Poster und Postkarten mit der Aufforderung „Entscheide dich“. Konkrete Informationen sind auf dieser Internetseite nicht zu finden. Letztlich wird auf das Portal www.organspende-info.de verwiesen, die offizielle Informationsseite des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit (BIÖG; früher: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung).
Das Informationsangebot des BIÖG zielt vor allem darauf ab, die Leserinnen und Leser zu motivieren, „eine Entscheidung zu treffen“. Es gehe um die Frage, ob man bereit ist, „nach dem Tod“ oder „postmortal“ Organe zu spenden. Diese Darstellung der Entscheidungssituation setzt voraus, dass Organspender im Zeitpunkt der Organentnahme bereits tot sind. Gerade zu dieser wesentlichen Vorannahme finden sich aber in den gesamten „Aufklärungsmaterialien“ des BIÖG keine brauchbaren Informationen. Das dürfte den allermeisten Lesern nicht auffallen, weil im Rahmen der Organspendeaufklärung seit Jahrzehnten behauptet wird, mit dem „Hirntod“ sei auch der Tod des Menschen eingetreten. Warum der „Hirntod“ ein sicheres Todeszeichen sein soll, wird nicht weiter begründet, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt. Auch die Richtlinie der Bundesärztekammer zur Feststellung des „Hirntodes“ enthält diese These. Wörtlich wird behauptet, mit dem „Hirntod“ sei „naturwissenschaftlich-medizinisch der Tod des Menschen festgestellt“. Begründung? Fehlanzeige.
Das sollte misstrauisch machen. Ist es wirklich so, dass die Funktionsunfähigkeit eines einzelnen Organs des Menschen als sicheres Zeichen des Todes gewertet werden kann? Bei anderen lebenswichtigen Organen sieht man das nicht so. Bleibt das Herz stehen, liegt zwar eine lebensgefährliche Situation vor, aber man ist noch nicht tot. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Funktion des Herzens durch geeignete Maßnahmen wiederhergestellt (Reanimation) oder mit technischen Mitteln ersetzt werden kann (Herz-Lungen-Maschine, Kunstherz). Das Gleiche gilt auch für diejenigen Gehirnfunktionen, die das körperliche Leben des Menschen steuern und regulieren, insbesondere die Regelung der Atmung. Der Funktionsausfall des Atemzentrums im Hirnstamm kann durch maschinelle Beatmung kompensiert werden.
Dadurch wird verhindert, dass die traditionellen Todeszeichen (Leichenflecke, Leichenstarre, Verwesung) auftreten. Der Ersatz einer wesentlichen Hirnfunktion führt dazu, dass der Tod verhindert wird – genauso wie beim Ersatz der Pumpfunktion des Herzens.
Entscheidend ist nicht, welches Organ des Menschen als erstes ausfällt, sondern ob diese Schädigung dazu führt, dass es zu dem Zustand kommt, für den wir die Bezeichnung „Tod“ verwenden. Eine gesetzliche Definition des Begriffs „Tod“ gibt es nicht, auch nicht im Transplantationsgesetz. Nach Ansicht der Bundesärztekammer bedeutet „Tod“ neben dem Verlust der geistigen Fähigkeiten des Menschen auch den Verlust der körperlichen Integration. In der Broschüre „Was ist der Hirntod?“ weist auch das BIÖG auf diesen Aspekt hin. Das Gehirn erbringe für den Gesamtorganismus als Steuerungszentrale „die notwendige Integrationsleistung, ohne die er nicht als leiblich-seelische
Einheit existieren kann. … Erlöschen daher die Gehirnfunktionen unwiederbringlich, fallen auch alle Organfunktionen aus und der menschliche Körper zerfällt“.
Diese Behauptung ist offensichtlich falsch. Personen, bei denen der „Hirntod“ festgestellt wurde, zeigen keine Anzeichen von Desintegration. Ihr Organismus bleibt – mit intensivmedizinischer Unterstützung – vollständig erhalten und funktionsfähig: alle Organe, Gewebe und Zellen bleiben durchblutet und werden mit Sauerstoff versorgt, Nahrung und Flüssigkeit werden verwertet, Abfallstoffe ausgeschieden und Keime aus der Umwelt bekämpft (Immunsystem). Hat eine Verletzung zum Hirnfunktionsausfall geführt, kommt es zur Wundheilung – wie bei anderen Intensivpatienten auch. Schwangere Patientinnen mit ausgefallenen Hirnfunktionen können über Wochen und Monate ein Kind austragen. Zeichen der Desintegration, wie sie bei Leichen typisch sind, treten bei Patientinnen und Patienten mit dem „Hirntod“-Syndrom nicht auf. Ein Ausfall „aller Organfunktionen“ oder ein „Zerfall“ des menschlichen Körpers findet nicht statt.
Es ist erstaunlich, dass die frühere Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung über viele Jahre hinweg die oben zitierte Falschinformation verbreiten konnte und dass sich auch unter dem neuen Namen Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit“ keine Änderung dieser „Aufklärungspraxis“ abzeichnet. Dabei liegt das Hauptproblem des „Hirntod“-Konzepts auf der Hand: der „Hirntod“ zeigt das ihm zugrunde liegende Todesverständnis „Desintegration des Organismus“ nicht an. Er ist deshalb kein sicheres Todeszeichen.
Gleichwohl wird in allen „Aufklärungsmaterialien“ des BIÖG stillschweigend davon ausgegangen, dass mit dem „Hirntod“ auch der Tod des potentiellen Spenders nachgewiesen sei. Eine ernsthafte Begründung für diese Ansicht sucht man vergebens; die Argumente gegen das „Hirntod“-Konzept werden unterschlagen.
Dieses Vorgehen verstößt gegen das Transplantationsgesetz (TPG). Gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 TPG hat die Aufklärung der Bevölkerung „die gesamte Tragweite der Entscheidung zu umfassen und muss ergebnisoffen sein“. Sie muss sich auch auf Aspekte erstrecken, „die einer Organ- und Gewebespende möglicherweise entgegenstehen könnten“ – so die Gesetzesbegründung. Daher müssten insbesondere die Probleme des „Hirntod“-Konzepts thematisiert werden. Diese werden aber nicht einmal erwähnt. Von einer „ergebnisoffenen“ Aufklärung kann daher keine Rede sein.
Auch die Darstellung der Rechtslage ist unrichtig. Als Voraussetzung einer Organspende wird vom BIÖG der „Hirntod“ genannt. Mit dem Nachweis des „Hirntodes“ wird aber nur vermieden, dass die Organentnahme unzulässig ist (siehe § 3 Abs. 2 Nr. 2 TPG). Zulässig ist die Organentnahme hingegen, wenn „der Tod“ des Organspenders festgestellt wurde (§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 TPG). Indem das BIÖG die wesentliche und vorrangige Zulässigkeitsvoraussetzung für Organentnahmen, nämlich den eingetretenen Tod (nicht den „Hirntod“) verschweigt, werden die Adressaten der „Aufklärungsmaßnahmen“ in die Irre geführt. Schon am Gesetzeswortlaut wäre zu erkennen, dass zwischen Tod und „Hirntod“ ein Unterschied besteht. Beide Zustände werden im gesamten Gesetzestext sorgfältig auseinandergehalten. Auch davon erfahren die Bürgerinnen und Bürger nichts.
„Die Frage nach dem Tod spielt für die Organspende eine besondere, zentrale Rolle“, heißt es an einer Stelle im Internetportal www.organspende-info.de. Gerade deshalb müsste im Rahmen der Aufklärungsbemühungen besonderer Wert darauf gelegt werden, Informationen zur Bedeutung von „Tod“ und „Hirntod“ sowie ihrem Verhältnis zueinander zu vermitteln. Es handelt sich um eine wesentliche Vorfrage, die für den Einzelnen mit entscheidend dafür sein kann, ob er sich für oder gegen eine Organspende ausspricht. Informationen, die es ermöglichen würden, sich zum Sinn der gesetzlichen Regelung oder zum Verhältnis zwischen „Tod“ und „Hirntod“ selbst Gedanken machen zu können, stellt das BIÖG nicht zur Verfügung. Stattdessen wird einseitig der „Hirntod“ als sicheres Todeszeichen propagiert. Die (überzeugenden) Argumente gegen das „Hirntod“-Konzept werden nicht einmal erwähnt. Das ist keine Aufklärung, sondern Manipulation.
Wie realitätsfremd das „Hirntod“-Konzept letztlich ist, zeigen die jüngsten Presseberichte über den Fall einer „hirntoten“ Schwangeren in den USA. Im US-Bundesstaat Georgia wird aktuell eine Frau nach der Feststellung des „Hirntodes“ weiter medizinisch betreut, um ihrem Kind eine Überlebenschance zu geben. In allen Berichten zu diesem Fall heißt es, dass die Betroffene „am Leben erhalten“ werde. So ist es. Man kann es vernünftigerweise nicht anders ausdrücken. Ein Organismus, der in der Lage ist, eine Schwangerschaft auszutragen, ist keine Leiche. Das „Hirntod“-Konzept ist nichts anderes als eine kontrafaktische Umdeutung lebenserhaltender Eingriffe in einen neuen „Tod bei lebendigem Leib“. Dieser semantische Betrug darf nicht länger die Geschäftsgrundlage der „Aufklärung“ zur Organspende sein.
Aktionen und Berichte zum „Tag der Organspende“, die sich darin erschöpfen, von den Bürgerinnen und Bürgern eine Entscheidung zu verlangen, verdecken das eigentliche Problem. Die meisten Menschen sind gar nicht in der Lage, eine wohlinformierte und wirklich selbstbestimmte Entscheidung zu treffen, weil ihnen wesentliche Informationen vorenthalten werden. Das BIÖG muss deshalb endlich die Kritik am „Hirntod“-Konzept in seinen Aufklärungsmaterialien berücksichtigen.
Nur so kann gewährleistet werden, dass alle Entscheidungen zum Thema Organspende auf einer tragfähigen Grundlage beruhen.
Der Autor ist Medizinrechtler und Verfasser des Buches: Das „Hirntod“-Konzept und der Tod des Menschen. Eine Untersuchung aus der Perspektive prozessualer Beweiswürdigung, Baden-Baden: Nomos-
Verlag, 2025, 923 Seiten, EUR 279,–