Kommentar: Gedanken einer Bürgerin zur sogenannten Widerspruchslösung für die Organspende

Zur­zeit plant unser Par­la­ment eine neue Rege­lung für Organ- und Gewe­be­spen­den. Bis­her muss­ten Betrof­fe­ne oder deren Betreu­er vor einer Ent­nah­me zustim­men. In Zukunft soll es so sein, dass alles geht, wenn nicht aus­drück­lich und offi­zi­ell wider­spro­chen wur­de. Das nennt sich „Wider­spruchs­lö­sung“.

Ich habe dra­ma­ti­sche Erfah­run­gen zur Organ­spen­de machen müs­sen. Dar­aus erklä­ren sich mei­ne Gedan­ken und Fra­gen zur soge­nann­ten Widerspruchslösung. 

Ich bin alt, zu alt für eine Organ­spen­de? Geht mich das noch etwas an? 

Ja, denn die ältes­te Organ­spen­de­rin in Deutsch­land ist 98 Jah­re alt. Ich muss mir also Gedan­ken zu die­sem The­ma machen, obwohl ich es gar nicht will, obwohl ich kei­ne frem­den Orga­ne in mir haben und auch kei­ne Orga­ne abge­ben will. Ich habe ver­sucht, mein Leben lang christ­lich und sozi­al zu leben, im Ster­ben möch­te ich nicht zer­teilt wer­den und nur an mich selbst den­ken dürfen. 

Orga­ne wer­den nicht Toten ent­nom­men, son­dern Ster­ben­den, die noch leben. Nur sol­che Orga­ne sind ver­pflanz­bar. Wer hirn­tot ist, ist nicht tot. Das ist nur eine juris­ti­sche Fik­ti­on. Medi­zi­nisch ist die­se Defi­ni­ti­on sehr umstritten. 

Ver­ges­se ich die Nächstenliebe? 

Der Bun­des­rat for­dert die Ein­füh­rung der Widerspruchs-“Lösung“ für die Organ- und Gewebeentnahme. 

Was bedeu­tet das? 

Mir kön­nen ab dem 14. Lebens­jahr Orga­ne und Gewe­be ent­nom­men wer­den, ohne dass ich dem zuge­stimmt habe. Mei­ne Ange­hö­ri­gen müs­sen nicht infor­miert wer­den. Kön­nen sie eine Ent­nah­me für mich ableh­nen? Das kann offen­bar nur ich im vor­aus ver­hin­dern, indem ich mich in ein Wider­spruchs­re­gis­ter ein­tra­ge. Die Wider­spruchs-Lösung aber igno­riert mei­ne Rech­te als Pati­en­tin zuguns­ten von mir völ­lig unbe­kann­ten Drit­ten, irgend­wo im Euro­trans­plant Bereich. Die medi­zi­ni­sche Behand­lung am Ende mei­nes Lebens, lebens­ver­län­gern­de und organ­pro­tek­ti­ve Maß­nah­men, sogar noch Ope­ra­tio­nen, die­nen nicht mehr mei­nem Wohl­erge­hen. Son­dern allein trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zi­ni­schen Inter­es­sen der Organ­ge­win­nung und dem Ver­spre­chen, tod­kran­ken Emp­fän­gern mit mei­nen Orga­nen das Leben zu verlängern. 

Das Gen­fer Gelöb­nis, 1948 vom Welt­ärz­te­bund beschlos­sen, besagt, dass mein Arzt mir nicht scha­den darf. Für mich exis­tiert es nicht mehr.

Über Art und Umfang einer Vor­be­rei­tung zur Organ­ent­nah­me wur­den weder ich noch die Bevöl­ke­rung umfas­send auf­ge­klärt, so dass ich hät­te begrei­fen kön­nen, dass die Vor­aus­set­zung für die Organ­ent­nah­me ein Zustand ist, der ursprüng­lich das irrever­si­ble Koma beschrieb. Der Ster­ben­de ist gefan­gen in einem Grenz­be­reich, ver­mut­lich irrever­si­bel koma­tös, den­noch am Leben. 

Seit 1968 aber bezeich­net man die­sen Grenz­be­reich des Lebens als “Hirn­tod“.

1968 war es dem süd­afri­ka­ni­schen Chir­ur­gen Chris­tia­an Bar­nard gelun­gen das Herz einer schwer ver­un­fall­ten Frau einem tod­kran­ken Mann ein­zu­pflan­zen. Seit­dem spricht man vom Hirn­tod, was als Begriff medi­zi­nisch nicht halt­bar ist – der Mensch kann ster­ben, das Gehirn dage­gen hört auf zu funk­tio­nie­ren und der Mensch fällt ins Koma. 

Die Juris­ten spre­chen bei der Ver­wen­dung des Begriffs „Hirn­tod“ von legal fic­tion also erlaub­ter Unwahrheit. 

Nie­mand hat mir gesagt, dass der Anäs­the­sie­pro­fes­sor Robert Truog, Direk­tor des Bio­ethik Zen­trums der Har­vard Uni­ver­si­tät inzwi­schen die Organ­ent­nah­me nach dem Hirn­tod ehr­li­cher­wei­se als „jus­ti­fied kil­ling“, „gerecht­fer­tig­tes Töten“ bezeichnet. 

Die Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin kann Orga­ne nur erfolg­reich ver­pflan­zen, wenn sie aus einem leben­den Men­schen gewon­nen wer­den, das heißt, der Spen­der darf noch nicht ver­stor­ben sein, auch wenn er sich in einem unum­kehr­ba­ren Ster­be­pro­zess befin­det. Im Inter­es­se der Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin set­zen Medi­zi­ner ihr gan­zes Kön­nen ein und ver­su­chen mit aller Gewalt den Ster­be­pro­zess auf­zu­hal­ten. Den Spen­der wird inzwi­schen als „human vege­ta­ble“, als „mensch­li­ches Gemü­se“ bezeichnet. 

Wäh­rend der gesam­ten Zeit (6 – 8 Stun­den), in der die Orga­ne frei­prä­pa­riert wer­den, wird der Spen­der beatmet. Beatmen kann man aber nur leben­de Per­so­nen. Falls der Orga­nis­mus vor oder wäh­rend der Ent­nah­me ster­ben soll­te, wird er wie­der­be­lebt. Seit 1968, als man irrever­si­bel koma­tö­se Pati­en­ten in irrever­si­bel hirn­to­te Men­schen umde­fi­nier­te, strei­ten sich die unter­schied­lichs­ten Fakul­tä­ten dar­über, wer hier die Deu­tungs­ho­heit über den Tod hat. 

Hans Jonas, einer der bedeu­tends­ten Phi­lo­so­phen des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts, sag­te anläss­lich einer Fern­seh­auf­zeich­nung in Ham­burg zu mir: „Einer Berufs­grup­pe, die schon ein­mal fähig waren, aus ande­ren Men­schen Sei­fe zu kochen, darf man die Defi­ni­ti­on über Leben und Tod nicht überlassen.“ 

In der Wider­spruchs­lö­sung geht es nicht nur um die Organ­spen­de, son­dern auch um die Gewe­be­spen­de. Anders als die Organ­spen­de geschieht sie an erkal­te­ten, toten Men­schen. Es empört mich, soll­te die Wider­spruchs­lö­sung zur Grund­la­ge unse­rer Trans­plan­ta­ti­ons­ge­setz­ge­bung wer­den, kom­me ich auto­ma­tisch auch als Gewe­be­spen­de­rin in Fra­ge, – vor­aus­ge­setzt ich habe kei­nen Wider­spruch ein­ge­legt und mich nicht in das Regis­ter ein­ge­tra­gen. Ein pro­fi­ta­bles Geschäft, für alle die dar­an betei­ligt sind. 

Deutsch­land hat 83,8 Mill. Ein­woh­ner, die gebo­ren sind und alle ster­ben wer­den. Der Preis für das Leben ist der Tod. Für mich ist der Tod die Kro­ne des Lebens. Dazu passt nicht, Ver­fü­gungs­mas­se für ande­re zu werden. 

0,01% der Ein­woh­ner in Deutsch­land war­ten auf ein Organ, mein Organ. Dür­fen 0,01 % von uns, der Gesamt­ge­sell­schaft for­dern, dass wir auf unse­re Pati­en­ten­rech­te ver­zich­ten und uns zwin­gen, zu die­ser Über­grif­fig­keit zu äußern? 

Darf die Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin mein Ster­ben stö­ren? Darf sie mein über den Tod hin­aus­ge­hen­des Per­sön­lich­keits­recht igno­rie­ren. Außer­dem den Schutz mei­ner Toten­ru­he und das Recht mei­ner Ange­hö­ri­gen auf Toten­für­sor­ge und Wah­rung der Pie­tät unwi­der­spro­chen aus­he­beln? Wo bleibt die Nächs­ten­lie­be mir gegen­über? Von mir aber wird Nächs­ten­lie­be eingefordert. 

Der Grund­pfei­ler der christ­li­chen Nächs­ten­lie­be heißt: Lie­be dei­nen Nächs­ten, wie dich selbst und Gott über alles. Nur in die­ser Drei­fach­for­de­rung hat er Sta­bi­li­tät. Ein­sei­tig gefor­dert, wie in der Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin führt er in eine Ein­bahn­stra­ße, die für Organ­spen­der und Ange­hö­ri­ge in einem Alb­traum endet. 

Rena­te Greinert