Stellungnahme zum Positionspapier des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) zu Organspende und Organtransplantation 2014

Im Jah­re 2013 sag­te der evan­ge­li­sche Kli­nik­pfar­rer Rolf-Mar­tin Turek aus Leip­zig in einem Vor­trag mit dem Titel „Der ver­wei­ger­te Dia­log“, zwei Grup­pen von an der TP-Medi­zin Betei­lig­ten hät­ten kei­nen Zugang zur Öffent­lich­keit und zur Gesetz­ge­bung, näm­lich die kri­ti­schen Ange­hö­ri­gen und die Inten­siv­teams. Wir als Ange­hö­ri­ge äußern schon seit vie­len Jah­ren unse­re Kri­tik an dem herr­schen­den TP-Sys­tem. Ent­spre­chend gespannt waren wir, als wir auf das Posi­ti­ons­pa­pier vom „Deut­schen Berufs­ver­band für Pfle­ge­be­ru­fe e.V. (DBfK) – Bun­des­ver­band“ vom 08.02.2014 stie­ßen. Wir hoff­ten auf Gemein­sam­kei­ten, fan­den aber haupt­säch­lich Gemein­plät­ze und kei­ne kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit den für die Pfle­gen­den belas­ten­den Aspek­te die­ser Medizin.

Schon in Punkt 1 („Auto­no­mie des Spen­ders“) kommt das Wort Soli­da­ri­tät vor, ver­stan­den als bewuss­ter Akt eines Spen­ders gegen­über einem Emp­fän­ger; wie­der­holt wird der Begriff in Punkt 3. Die Soli­da­ri­tät ist hier eben­so eine Ein­bahn­stra­ße wie der Begriff der „Nächs­ten­lie­be“, den die Kir­chen statt­des­sen ver­wen­den. Es wird kein Gedan­ke dar­an ver­schwen­det, dass man als soli­da­ri­sches Han­deln auch ver­ste­hen könn­te, dass jemand auf ein sog „neu­es Organ“ ver­zich­tet, um dem „Spen­der“ ein schreck­li­ches Ster­ben auf dem OP zu ersparen.

Eine Spen­de ist etwas Frei­wil­li­ges, für die sich ein Mensch gut infor­miert und im vol­len Bewusst­sein ent­schei­det. In neun von zehn Situa­tio­nen, in denen es zur Organ­ent­nah­me kommt, kann nicht von einer Spen­de und erst recht nicht von der Auto­no­mie des Spen­ders die Rede sein. Selbst in dem einen Fall, in dem ein Aus­weis vor­liegt, ist der Betref­fen­de nur ein­sei­tig in Hin­blick auf den Emp­fän­ger infor­miert. Bei neun von zehn Men­schen wird nach dem mut­maß­li­chem Wil­len gehan­delt. Sie haben kei­ne Mög­lich­keit mehr sich zu äußern, sich zu weh­ren, sie wer­den zu „Spen­dern“ gemacht. Das ist eine Unge­heu­er­lich­keit, han­delt es sich doch bei ihnen um den Pro­zess des Ster­bens, falls die Dia­gno­se über­haupt rich­tig ist. Die Ange­hö­ri­gen, denen die Ent­schei­dung auf­ge­bür­det wird, (die zur Ein­wil­li­gung genö­tigt wer­den), sind in der Regel im Schock, d.h. sie sind hand­lungs­un­fä­hig und aus­ge­lie­fert. Sie sind zu schüt­zen. Eine Aus­sa­ge im Schock hat kei­ne Gül­tig­keit. Die Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin beruht auf dem Aus­nut­zen zwei­er wehr­lo­ser Grup­pen, näm­lich den Pati­en­ten und ihren Angehörigen.

In Punkt 2 („Organ­trans­plan­ta­ti­on“) wird „ein Kon­zept von Pati­en­ten­e­du­ka­ti­on“ gefor­dert, aus­drück­lich für die Emp­fän­ger und ihre Ange­hö­ri­gen …“um mit der Situa­ti­on, erfolg­reich eine Spen­der­or­gan erhal­ten zu haben, aber den­noch dau­er­haft chro­nisch krank zu sein, umge­hen und leben zu kön­nen.“ War­um wird nicht ein­fach gefor­dert, dass die TP-Medi­zi­ner ihre Pati­en­ten gründ­lich und sach­ge­recht über die abseh­ba­ren Fol­gen einer Organ­über­tra­gung infor­mie­ren – wozu die­se übri­gens laut Gesetz sowie­so ver­pflich­tet sind? War­um wird die­se „Edu­ka­ti­on“ nicht auch für die Men­schen gefor­dert, die einen Organ­spen­de­aus­weis aus­fül­len sollen?

In Punkt 3 („Spen­den­be­reit­schaft“) wird die Ein­rich­tung von „Spen­der­fa­mi­li­en“ gefor­dert, die in gegen­sei­ti­ger Soli­da­ri­tät und Bekannt­schaft Orga­ne spen­den und emp­fan­gen wol­len. Das wür­de bedeu­ten, dass die TP-Medi­zin regio­nal orga­ni­siert wer­den müss­te – wie soll man sich sonst ken­nen ler­nen? Ange­sichts der euro­päi­schen Dimen­si­on der Trans­por­te völ­lig welt­fremd. Aus gutem Grund wird bis­lang übri­gens ver­mie­den, dass Spen­der­an­ge­hö­ri­ge und Emp­fän­ger sich tref­fen. Die gegen­sei­ti­gen Erwar­tun­gen wür­den in vie­len Fäl­len nicht erfüllt wer­den kön­nen. Bei­spiel: Der hat die von mei­nem Ange­hö­ri­gen ent­nom­me­ne Leber bekom­men und trinkt trotz­dem weiter!?

In Punkt 4 („Pati­en­ten­ver­fü­gung vs. Organ­spen­de­aus­weis“) wird im letz­ten Satz eine For­de­rung auf­ge­stellt, die weder sprach­lich noch inhalt­lich ver­ständ­lich ist. Gemeint ist wohl, dass die Men­schen sich bewusst wer­den sol­len, dass eine Pati­en­ten­ver­fü­gung, in der inten­siv­me­di­zi­ni­sche Lebens­ver­län­ge­rung aus­ge­schlos­sen wird, und die Zustim­mung zur Organ­spen­de sich aus­schlie­ßen. Die dar­aus zwin­gend erfor­der­li­che Not­wen­dig­keit, vor der Abga­be sol­cher Erklä­run­gen neu­tral auf­ge­klärt zu wer­den, wird nicht erwähnt – statt­des­sen wird davon gere­det, dass die­se „auf­ein­an­der abge­stimmt wer­den“ sol­len – was immer das hei­ßen mag.

In Punkt 5 („Ver­tei­lungs­ge­rech­tig­keit“) wird eine ver­stärk­te Kon­trol­le und Trans­pa­renz bei der Ver­tei­lung der Orga­ne und Gewe­be gefor­dert. Dem ist natür­lich zuzu­stim­men; aller­dings sind euro­päi­sche Abkom­men dazu kaum geeignet.

In Punkt 6 geht es end­lich um das Anlie­gen, das beim DBfK im Mit­tel­punkt ste­hen müss­te, der Situa­ti­on der Pfle­gen­den. Der Ana­ly­se ist zuzu­stim­men, nicht jedoch den dar­aus resul­tie­ren­den For­de­run­gen. Es geht um den eige­nen Ethik­ko­dex, an dem der DBfK sich mes­sen las­sen muss; Er benennt ja selbst die Unver­ein­bar­keit von Kodex und Pfle­ge sog. Hirn­to­ter, aber zieht für die Pfle­gen­den die fal­schen Kon­se­quen­zen. Die­se wer­den auf­ge­for­dert, sich anzu­pas­sen, mit­zu­ma­chen, Nur in einem Neben­satz wird eine kri­ti­sche Hirn­tod­dis­kus­si­on gefor­dert, obwohl die­se der Angel­punkt der gesam­ten Medi­zin ist: Fällt die Hirn­tod­de­fi­ni­ti­on, fällt auch das Trans­plan­ta­ti­ons­we­sen. Es wird noch nicht ein­mal gefor­dert, dass die Pfle­gen­den nicht ver­pflich­tet wer­den dür­fen, sich an Organ­ent­nah­men zu betei­li­gen – dann wäre es nicht nötig, …“zum Zweck der eige­nen, pro­fes­sio­nel­len Selbst­ver­stän­di­gung“ eine bes­se­re Aus­bil­dung zu fordern.

Bre­men, im April 2014

Geb­hard Focke

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Stel­lung­nah­me zum Posi­ti­ons­pa­pier des Deut­schen Berufs­ver­ban­des für Pfle­ge­be­ru­fe (DBfK) zu Organ­spen­de und Organ­trans­plan­ta­ti­on 2014