Blicke hinter die Kulissen

Aus­zü­ge aus einem Inter­view, das Anna Berg­mann 2015 mit Fach­pfle­ge­kräf­ten führ­te, die auf einer pneu­mo­lo­gi­schen Sta­ti­on tätig sind und viel­fäl­ti­ge Erfah­run­gen mit lun­gen­trans­plan­tier­ten Patient*innen haben.

Zur Rol­le der Familien

Trans­plan­tier­te Pati­en­ten wis­sen sehr gut Bescheid über ihre The­ra­pie, über ihren Kör­per, sie ken­nen sich sehr gut medi­zi­nisch aus und wis­sen, was sie brau­chen. Auch ihre Fami­li­en sind geschult. Im Fal­le einer Pati­en­tin hat der Ehe­mann bei uns mehr oder weni­ger gewohnt, er hat auch bei uns über­nach­tet. Bei einer ande­ren Pati­en­tin war auch immer ihre gan­ze Fami­lie da. Die Toch­ter war trans­plan­tiert und war sehr schlecht dran. Sie woll­ten sie dann in eine Kli­nik zum Ster­ben ver­le­gen – zur Ster­be­be­glei­tung. Aber am Anfang durf­te sie nicht, denn man woll­te sie nicht auf­ge­ben. Das war recht schwie­rig, die Ange­hö­ri­gen woll­ten mit dem Arzt reden. Er war ganz hek­tisch und hat abwei­send reagiert: „Ich habe doch ges­tern schon mit Ihnen gespro­chen.“ Er hat ein Gespräch dar­über abge­lehnt. Ich habe dar­auf bestan­den und gesagt, er muss kom­men. Und dann haben sie es geschafft, dass ihre Toch­ter zum Ster­ben in ein Hos­piz ver­legt wur­de. Sie war viel­leicht um die drei­ßig Jah­re alt.

Ich habe aber auch schon erlebt, dass Fami­li­en sehr fest­ge­hal­ten haben. Die­se Fami­lie dage­gen woll­te los­las­sen, die Ärz­te jedoch nicht, das war recht schwie­rig. Mir kommt es so vor: Es ist wie Gott, der die Erde nicht unter­ge­hen lässt, weil er sie erschaf­fen hat – nach dem Mot­to: „Ich habe die­sem Pati­en­ten ein neu­es Leben geschenkt, des­halb darf er nicht ster­ben.“ Aber das ist nur mei­ne Inter­pre­ta­ti­on. Ich glau­be, es geht um Erfolgs­ver­lust, es geht um die Sta­tis­tik: „Ich kann dann vor­wei­sen, ich habe so und so vie­le Pati­en­ten trans­plan­tiert und so und so vie­le haben überlebt.“

Die Fra­ge nach der Bezie­hung zur Transplantationsmedizin

Mir stell­te sich die Fra­ge: Darf man das? Und dann kam Wider­stand bei mir auf Bli­cke hin­ter die Kulis­sen Aus­zü­ge aus einem anony­mi­sier­ten Inter­view mit zwei diplo­mier­ten Pfle­ge­fach­frau­en, die auf einer pneu­mo­lo­gi­schen Sta­ti­on tätig sind und viel­fäl­ti­ge Erfah­run­gen mit lun­gen­trans­plan­tier­ten Pati­en­ten und Pati­en­tin­nen haben und auch Wut auf die­se Lob­by, die so ein­sei­tig Bericht erstat­tet. Im Fern­se­hen habe ich eini­ge Berich­te gese­hen, auch aus mei­nem Land. Dass etwas schief­läuft, wird erst gar nicht beleuch­tet. Es wer­den jun­ge Frau­en gezeigt in die­sen Bei­trä­gen, die gut leben, denen es gut geht, aber ich habe noch kei­nen Bericht über das Lei­den die­ser Pati­en­ten gesehen.

Ein biss­chen emp­fin­de ich auch eine Ohn­macht, weil ich die­se Arbeit habe, ich ver­die­ne mein Geld in die­ser Kli­nik und bin nicht ein­ver­stan­den damit, wie das gemacht wird. Aber darf ich ein Nest­be­schmut­zer sein? Darf ich sie ver­pfei­fen? Die Ärz­te, die das machen, sind net­te Men­schen, ich mag sie wirk­lich gern. Die Tho­ra­x­chir­ur­gie ist eine gut orga­ni­sier­te Kli­nik, das muss man sagen. Aber was die Ärz­te tun, tun sie viel­leicht doch aus Karrieregründen.

Ich habe ein­mal mit einem Assis­tenz­arzt die­ser Abtei­lung gespro­chen, der sich kri­tisch geäu­ßert hat. Ich habe ihn gefragt, ob er sich auch im Fern­se­hen kri­tisch zei­gen wür­de. Er ant­wor­te­te mit einem Nein, er habe sich zu oft kri­tisch geäu­ßert, er dür­fe das jetzt nicht mehr.

Ist es ein Tabu, Kri­tik an der Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin zu üben?

Ja, aber unter uns Pfle­gen­den nicht. Es ist sehr unter­schied­lich, es gibt jün­ge­re Mit­ar­bei­te­rin­nen, für sie ist das schon nor­mal, und es gibt wel­che, die machen sich gar kei­ne Gedan­ken. Zum Bei­spiel wur­den bei uns im Gang Pla­ka­te auf­ge­hängt – pro Trans­plan­ta­ti­on. Es waren Fotos von jun­gen dyna­mi­schen Men­schen, aber meis­tens von Kin­dern, sie wer­den zitiert: „Ich wäre seit fünf Jah­ren tot, aber ich habe eine Trans­plan­ta­ti­on bekommen.“

Und wir haben ja die lun­gen­krebs­kran­ken Pati­en­ten auch bei uns. Ich habe mei­nem Sta­ti­ons­lei­ter gesagt: „Bei uns kann man die­se Pla­ka­te nicht auf­hän­gen.“ Er mein­te: „Das ist ein­fach eine Akti­on, die wer­den dann ja wie­der weggenommen.“

Wo sehen Sie das eigent­li­che Pro­blem bei einer Transplantation?

Das Sinn­lo­se: Wenn ich eine The­ra­pie mache, dann möch­te ich ja gesund wer­den. Aber trans­plan­tier­te Pati­en­ten kön­nen ja nicht gesund wer­den. Und es gibt auch einen gro­ßen Unter­schied zur Pal­lia­tiv­pfle­ge. Hier kön­nen wir ja eine The­ra­pie durch­füh­ren, die lin­dert. Aber in die­ser Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin berei­tet jede The­ra­pie neu­es Lei­den. Schmerz­mit­tel kann man wenig geben, weil dann der Darm nicht mehr arbei­tet, und wenn der Darm nicht mehr arbei­tet, wird es sehr gefähr­lich, denn die Gift­stof­fe müs­sen ja raus. Ich habe gera­de einen Pfle­ge­be­richt eines trans­plan­tier­ten Man­nes gele­sen. Er wur­de mit 39 Jah­ren lun­gen­trans­plan­tiert. Jetzt wird ein Roll­stuhl orga­ni­siert, weil er durch die Immun­sup­pres­si­va eine so star­ke Arte­rio­skle­ro­se der unte­ren Extre­mi­tä­ten bekom­men hat, sodass Gewe­be der Füße und auch an den Fin­ger­kup­pen abge­stor­ben ist (Gang­rän). Des­halb wird gera­de eine Ampu­ta­ti­on auch der Fer­sen über­legt. Außer­dem hat er ein star­kes Mus­kel­lei­den, die Mus­keln der Ober­schen­kel und der Waden sind ent­zün­det. Die­ser Pati­ent hat sehr viel bren­nen­de Schmer­zen. Auch lei­det er jetzt an Dia­be­tes und an einer Nie­ren­in­suf­fi­zi­enz, sodass sogar nach sei­ner Lun­gen­trans­plan­ta­ti­on auch noch eine Nie­ren­trans­plan­ta­ti­on erwo­gen wur­de. Aber wegen des abge­stor­be­nen Gewe­bes im Fuß und der vie­len Ent­zün­dun­gen kommt erst ein­mal eine Nie­ren­trans­plan­ta­ti­on nicht in Betracht. Dafür muss er aber an die Dialyse.

Eine Trans­plan­ta­ti­on ist ent­we­der eine Lebens­ver­kür­zung oder eine Lebensverlängerung.

Es kann ja wirk­lich sein, dass die­se Pati­en­ten noch fünf Jah­re ohne Trans­plan­ta­ti­on gelebt hät­ten. Man weiß es ja vor­her nicht. Beson­ders bei der Cys­ti­schen Fibro­se (CF: Muko­vis­zi­do­se) sind die Pati­en­ten ja gewohnt, mit wenig Luft zu leben, obwohl die Wer­te schlecht sind. Die Lun­gen­funk­ti­ons­tests sind meis­tens wirk­lich schlecht, trotz­dem kön­nen die­se Pati­en­ten sich bewe­gen, kön­nen Stre­cken lau­fen, und sie kön­nen noch zuhau­se leben. Ich fra­ge mich: Wenn man nach der Trans­plan­ta­ti­on im Kran­ken­haus woh­nen muss, nicht mehr nach Hau­se kann, ob das lebens­wert ist. Aber dar­über darf ich nicht urtei­len. Trotz­dem denkt man dar­über nach. Zum Bei­spiel: Ein Pati­ent hat­te vor der Trans­plan­ta­ti­on gear­bei­tet, er hat­te einen Büro­job, war 24 Jah­re alt und er war wirk­lich ein lebens­be­ja­hen­der humor­vol­ler Mensch.

Er wur­de trans­plan­tiert wegen einer Cys­ti­schen Fibro­se. Im Okto­ber – also ein hal­bes Jahr nach der Trans­plan­ta­ti­on – ist er bei uns gestor­ben. Er war den gan­zen Som­mer über bei wun­der­schö­nem Wet­ter bei uns in der Kli­nik und brauch­te mas­sen­haft Anti­bio­ti­ka, denn er hat­te die­ses Burk­hol­de­ria Bak­te­ri­um, das ist ein mul­ti­re­sis­ten­ter Keim. Das war für uns alle ein trau­ma­ti­sie­ren­des Erleb­nis, denn er muss­te unter furcht­ba­ren Schmer­zen ster­ben. Zu Beginn woll­te man ihm kein Mor­phi­um geben, weil es den Darm lahm­legt. Trans­plan­tier­te Pati­en­ten bekom­men ja sehr vie­le Medi­ka­men­te, des­we­gen müs­sen sie viel abfüh­ren, die Nie­re muss aus­schei­den. Es ist ein­fach sehr wich­tig, dass sie täg­lich abfüh­ren. Wenn man Mor­phi­um gibt, bewirkt es das Gegen­teil, des­halb hat man es lan­ge hin­aus­ge­zö­gert, ihm adäqua­te Schmerz­mit­tel zu geben. Am Schluss war es abseh­bar, dass er ster­ben wird. Ab die­sem Zeit­punkt kamen die Ärz­te nicht mehr zur täg­li­chen Visi­te. Sie wuss­ten auch nicht mehr wei­ter. Anstatt zu sagen, es ist jetzt Ende, wur­de gar nichts mehr kommuniziert.

Er ist ver­reckt – mit kei­nem Tier wür­de man so umgehen.“

Bei ihm war die Trans­plan­ta­ti­on sicher­lich lebens­ver­kür­zend. Er hät­te bes­ser gelebt, wenn er nicht trans­plan­tiert wor­den wäre. Das Schlim­me war der Vater, der ihn immer gepusht hat. Erst am Ende hat er ein­ge­se­hen, dass sein Sohn wirk­lich nicht mehr kann. Trau­ma­ti­sie­rend für uns war, dass er unter so star­ken Schmer­zen lei­den muss­te: Er ist ver­reckt, mit kei­nem Tier wür­de man so umge­hen. Er war auch sehr jung, 24 Jah­re alt. Er hat­te die­sen spe­zi­el­len Keim. Durch die Immun­sup­pres­si­on ist die­ses Bak­te­ri­um erst so rich­tig aktiv gewor­den. Mir hat der Lun­gen­arzt erklärt, in ande­ren Län­dern wer­den Pati­en­ten mit die­sem Burk­hol­de­ria Bak­te­ri­um nicht trans­plan­tiert. Aber bei uns macht man das, und es ging immer in die Hose. Die­ses Lei­den war wirk­lich schlimm für uns. Die­ser Pati­ent hat geweint vor Schmer­zen. Wir haben immer gesagt, es muss jemand kom­men. Und wir fühl­ten uns in der Pfle­ge auch allein­ge­las­sen. Nachts hat er im Bett geses­sen, er hat­te eine kras­se Mit­tel­ohr­ent­zün­dung, nach­dem sie die Ohren gespült hat­ten. Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich glau­be, die Hirn­haut war dann auch betrof­fen. Er litt unter so star­ken Schmer­zen und hat sich im Bett immer selbst geschau­kelt. Die­ser Keim war explo­diert bei einem Infekt, des­we­gen hat man ihm das Ohr gespült und irgend­wie wuss­te nie­mand mehr, was da eigent­lich abging – auch die Ärz­te nicht. Sie dach­ten dann, das ist das Pro­blem der Ohren­ärz­te. Ich muss­te ihn ein­mal zur Ohren­spü­lung brin­gen, wozu auch Anäs­the­sis­ten bestellt waren. Sie waren sehr scho­ckiert, weil noch nie für eine Ohr­spü­lung eine Anäs­the­sie benö­tigt wur­de, aber er hat­te die­se extre­men Schmerzen.

Auch hat­ten wir vor Kur­zem eine Pati­en­tin mit einer CF, sie ist etwa 38 Jah­re alt. Sie konn­te vor der Trans­plan­ta­ti­on ihren All­tag noch allein bewäl­ti­gen und war zum Bei­spiel in einem Ver­ein noch sehr aktiv. Auch sie hat­te die­sen Keim Burk­hol­de­ria. Sie wur­de in dem Vor­ge­spräch dar­auf hin­ge­wie­sen und muss­te sich ent­schei­den, ob sie sich trans­plan­tie­ren las­sen woll­te oder nicht. Ich habe sie dann gefragt, wie man das ihr erklärt hat, was mit dem Keim pas­siert, wenn sie trans­plan­tiert ist. Die­se Pati­en­tin hat mir gesagt, wie es ihr erklärt wur­de: Der Keim sei in der Lun­ge. Und wenn man die Lun­ge so ent­fer­ne, ohne dass der Keim im Kör­per schon gestreut habe, dann sei er nach­her weg. Ich habe bis­her nur das Gegen­teil gese­hen. Ich glau­be das nicht. Viel­leicht ist der Keim jetzt nur in der Lun­ge, weil das Burk­hol­de­ria Bak­te­ri­um sich jetzt noch nicht weh­ren kann, aber nach der Immun­sup­pres­si­on hat die­ser Keim Party.

Eine Pati­en­tin hat­te zum Bei­spiel nach ihrer Lun­gen­trans­plan­ta­ti­on einen Leber­tu­mor auf­grund der Medi­ka­men­te zur Unter­drü­ckung des Immun­sys­tems. Alle trans­plan­tier­ten Pati­en­ten müs­sen sie lebens­lang neh­men gegen die Absto­ßung des Organs. Sie legen das Immun­sys­tem lahm und dadurch wer­den die­se Pati­en­ten anfäl­lig für Krebs und Infek­tio­nen. Ein Mann hat­te eine Absto­ßung, ein ande­rer Pati­ent hat­te einen Virus und dann kommt eins zum ande­ren. Also irgend­wel­che Infek­tio­nen haben sie immer. Sie bekom­men dann hoch dosiert Anti­bio­ti­ka. Das Schlim­me ist, sie kom­men in die Kli­nik, dür­fen dann wie­der nach Hau­se und kom­men aber gleich wie­der: Man wohnt im Kran­ken­haus, man ist total von Medi­ka­men­ten abhän­gig. Das ist kein Leben, das man selbst bestim­men kann. Und eine Pati­en­tin, die Cys­ti­sche Fibro­se hat­te, sag­te mir: „Wenn wir trans­plan­tiert sind, dann wol­len wir leben. Für uns fängt dann das Leben an.“ Sie haben immer die Erwar­tung, sie kön­nen dann wie­der alles machen, rei­sen, spa­zie­ren gehen. Sie den­ken: „Ich bin dann wie­der gesund.“ Sie wis­sen nicht, dass das Leben dann eigent­lich auch ziem­lich sicher zu Ende gehen kann. Die­se Pati­en­tin habe ich dann wie­der­ge­se­hen, sie wur­de trans­plan­tiert. Die Lun­ge war immer wie­der zusam­men­ge­fal­len. Ich glau­be, das war die Lun­ge eines alten Men­schen. Die Pati­en­tin wur­de dar­auf­hin gelis­tet zur Retrans­plan­ta­ti­on. Sie kam wie­der zu uns und ich bin rich­tig erschro­cken, als ich sie gese­hen habe. Sie war nur noch Haut und Kno­chen, zusam­men­ge­fal­len und sie hat gesagt: „Jetzt nicht mehr, noch ein­mal mache ich das nicht. Jetzt bin ich am Limit.“ Sie war eine Kämp­fe­rin. Ihr Mann hat dann bei uns rich­tig gewohnt und hat­te hier ein Bett. Ihr Schutz­schild war eine der­be Spra­che, sie wur­de ganz anders – z. B.: „Ich kann heu­te nicht schei­ßen.“ Ich den­ke, sie war vor­her eine nor­ma­le jun­ge Frau, ihr Vater war Arzt. Ich fin­de, die­se Pati­en­ten wer­den schon ein biss­chen derb.

Die­se Frau hat­te auch einen Anspruch auf ein Organ nach dem Mot­to: „Ich brau­che eine neue Lun­ge.“ Sie wer­den so ein biss­chen abs­trakt. Für uns ist das immer ziem­lich krass, wenn jemand so etwas sagt. Ein Organ kriegt man ja nicht aus dem Regal. Viel­leicht ist es ein Schutz­schild, das so abs­trakt zu halten.

Es gab einen Pati­en­ten etwa vor zwei Jah­ren: Er war schon über 60 Jah­re alt und hat­te eine chro­nisch obstruk­ti­ve Pneum­opa­thie, des­we­gen wur­de er trans­plan­tiert. Er war ein star­ker Rau­cher und hat­te die­se Krank­heit des­we­gen bekom­men. Ihm ging es nach der Trans­plan­ta­ti­on schlecht. Er hat die Medi­ka­men­te nicht ver­tra­gen, war eine Woche zu Hau­se, kam dann wie­der zu uns, bekam ein Nie­ren­ver­sa­gen. Auf der Sta­ti­on haben sie ihn erst ein­mal wie­der hin­ge­kriegt. Aber bis zum Schluss hat er gekämpft und hat nie etwas hin­ter­fragt. Er war lan­ge bei uns, fast ein hal­bes Jahr, bis er nach fünf Mona­ten starb.

Eine jün­ge­re Pati­en­tin ist unter 28 Jah­re alt, sie wur­de trans­plan­tiert und muss­te inner­halb von fünf Jah­ren retrans­plan­tiert wer­den. Eine ande­re wur­de trans­plan­tiert. Bei ihr wur­de nach zwei Jah­ren ein Tumor, der auf der trans­plan­tier­ten Lun­ge saß, ent­fernt. Ich habe mit einem Arzt gespro­chen und woll­te wis­sen, ob die­se Pati­en­tin und auch ihre Ange­hö­ri­gen auf­ge­klärt wor­den sind, weil für uns in der Pfle­ge es so unklar ist, wie das endet. Der Arzt war düpiert: „Jetzt machen wir noch das und das und pro­bie­ren noch das und das aus.“ Vom ethi­schen Stand­punkt gese­hen ist alles unklar und wir wis­sen nichts. Wir müs­sen ein Spiel mit­spie­len, das wir nicht spie­len wollen.

Ein Arzt hat ein­mal gesagt. „Es gibt kein Pal­lia­tiv­kon­zept für die trans­plan­tier­ten Pati­en­ten.“ Ein trans­plan­tier­ter Mensch darf nicht sterben.

Nein, man lässt ihn nicht ster­ben. Für mich war es gut, von dem Sta­ti­ons­lei­ter zu hören, dass er die­se Bezie­hung zum Ster­ben auch als Defi­zit emp­fin­det. Wir haben uns im Team bes­ser gefühlt, als er das bestä­tigt hat. Der Pati­ent mit der Mit­tel­ohr­ent­zün­dung hat gesagt, er wäre froh, wenn es schnell geht. Und die­ser Ver­lauf war wirk­lich schlimm, weil er auch so jung war. Aber gene­rell sind die trans­plan­tier­ten Pati­en­ten erst ein­mal schon vor­wärts gewandt. Alles ande­re las­sen sie nicht zu. Sie den­ken: „Jetzt habe ich das gemacht, wenn ich A sage, muss ich auch B sagen.“ Eigent­lich ist die gan­ze Auf­klä­rung über eine Trans­plan­ta­ti­on schreck­lich, das ist schon eine Tor­tur. Man wird von oben bis unten durchgecheckt.

Wir als Pfle­gen­de haben schon eine ande­re Bezie­hung zur Trans­plan­ta­ti­ons­the­ra­pie als die Ärzte.“

Ihnen geht es um das Pres­ti­ge nach dem Mot­to: „Ich habe schon so und so vie­le Lun­gen trans­plan­tiert.“ Die Uni­ver­si­täts­kli­nik hat eine Kam­pa­gne gestar­tet: Sie haben ihre Erfol­ge an die Wand geschrie­ben – wie Wer­be­slo­gans. Auch stand dar­auf, sie hät­ten die ers­te Lun­ge an zwei Emp­fän­ger transplantiert.

Zur Fra­ge, was ist der Unter­schied zwi­schen Pfle­gen­den und Ärz­ten: Ich habe mit einem Assis­tenz­arzt ein­mal gespro­chen. In der Pneu­mo­lo­gie war eine lei­ten­de Ärz­tin für die trans­plan­tier­ten Pati­en­ten zustän­dig, die eine sehr kom­pro­miss­lo­se Betreu­ung anstreb­te. Nach dem sie weg­ging, hat sich das Kon­zept grund­sätz­lich geän­dert. Und zwar wirk­lich auch zum Posi­ti­ven hin. Man ist nicht mehr so ver­bis­sen, man lässt die trans­plan­tier­ten Pati­en­ten selbst ent­schei­den und akzep­tiert auch den Wunsch zu ster­ben. Aber ich mei­ne, bei uns ist das immer so: 

Die Pfle­ge hat ein ande­res Bild von den Pati­en­ten als ein Arzt. Bei uns dür­fen die­se Pati­en­ten auch ster­ben – das ist über­all so.

Das ist oft ein Pro­blem. Es gibt zwar auch ande­re Ärz­te, aber die schla­gen dann eine ande­re Kar­rie­re ein, viel­leicht machen sie nicht in der Chir­ur­gie Karriere.

Die Ärz­te, die sich auf die Trans­plan­ta­ti­ons­me­di­zin spe­zia­li­sie­ren, haben auch mit der Immun­sup­pres­si­on zu tun. Es ist ein spe­zi­el­les Team, das sich um die trans­plan­tier­ten Pati­en­ten küm­mert. Ich glau­be, man kann die­ses Fach schon wäh­len und dann gibt es sol­che, die damit gar nichts zu tun haben wol­len. Ich habe schon ein­mal mit einem Arzt gespro­chen, der konn­te gar nichts mit den Lun­gen­trans­plan­tier­ten anfangen.

Die Fra­ge nach den Eigen­hei­ten der trans­plan­tier­ten Patienten

Ich fin­de schon: Die CF-Pati­en­ten sind ja chro­nisch krank. Man hat die Mög­lich­keit zu trans­plan­tie­ren, bei ihnen kommt die­se Fra­ge auf, sie sehen das viel­leicht ein biss­chen dif­fe­ren­zier­ter, weil sie chro­nisch krank sind. Aber die­se COPD-Pati­en­ten (Chro­nic Obs­truc­ti­ve Pul­mo­na­ry Dise­a­se) sind oft ziem­lich ver­bis­sen. Sie waren ja ein­mal gesund und COPD ist häu­fig eine Fol­ge­krank­heit des Rau­chens. Wir haben jetzt einen Pati­en­ten, er hat eine ganz schwe­re COPD durch Rau­chen. Er kann nicht mehr ohne Sau­er­stoff leben, er kommt kaum auf die Toi­let­te ohne Sauerstoff.

Man hat mit ihm gespro­chen, damit er sich lis­ten lässt. Ich fin­de aber, er ist in einem sehr schlech­ten Zustand. Und er denkt, er bekommt eine Lun­ge, dann braucht er kei­nen Sau­er­stoff mehr und kann so leben wir vor­her. Das ist halt ein Trug­schluss. Für uns ist das schwie­rig. Wir sehen das von unse­rer pro­fes­sio­nel­len pfle­ge­ri­schen Sei­te aus und fra­gen uns: Über­le­gen die Ärz­te sich das gar nicht? Für mich ist das manch­mal schwer zu verstehen:

Es gibt die Vor­stel­lung, man geht ein­kau­fen und legt sich eine neue Lun­ge wie ein paar neue Schu­he zu.

Irgend­wie fin­de ich, der vor­he­ri­ge Lebens­stil hat Kon­se­quen­zen. Was mich auf­regt: Auf jeder Ziga­ret­ten­pa­ckung steht: „Rau­chen ist töd­lich.“ Und wenn man die Leu­te, die rau­chen, dar­auf anspricht, sagen sie: Jeder muss ein­mal ster­ben. Und wenn ich sage: „Aber du beginnst zu röcheln, du erstickst.“ Und dann gibt es die­se Vor­stel­lung: Wenn es wirk­lich nicht mehr geht, dann kriegt man eben eine Lun­ge trans­plan­tiert. Und damit habe ich wirk­lich Mühe.

Das Inter­view führ­te Anna Berg­mann für das im Franz Stei­ner Ver­lag erschei­nen­de Buch „Lebens­ver­län­ge­rung um jeden Preis? Grenz­über­schrei­tun­gen in der Transplantationsmedizin“.